
#TakeOver: Trotzdem oder gerade Deshalb
Olaf Nicolai über das Agieren mit/im/gegen Systeme
In einem Hauptseminar der Ludwig-Maximilians-Universität München haben Master- und Bachelor-Studierende des Bereichs Kunstgeschichte den Entstehungsprozess der Wechselausstellung „Tell me about yesterday tomorrow“ intensiv begleitet. Sie setzten sich mit ausgewählten Kunstwerken auseinander, waren bei der Eröffnung am 27. November 2019 Ansprechpartner*innen für die Besucher*innen und haben mit einzelnen Künstler*innen Interviews geführt. Daraus sind nun Beiträge für den Blog zur Ausstellung entstanden.
Macht es einen Unterschied, aus welcher Motivation heraus gehandelt wird? Selbst bei gleichem Resultat? Diese Frage eröffnet Olaf Nicolais Installation Viele, die eine Ahnung haben… von 1999. Darin nimmt der Künstler Bezug auf Rainer Werner Fassbinders 1974 gedrehte Romanverfilmung Fontane Effi Briest. Der Untertitel des Films ist auf zwei Plakaten abgedruckt – mit einem simplen Unterschied: „Indem das Wort ‚trotzdem‘ mit ‚deshalb‘ ersetzt wird, habe ich eine andere Perspektive von Motivation benannt. Dieses ‚deshalb‘ macht eine paradoxe Situation auf“, so der Künstler.

Was die Sinnaussage des Textes in's Gegenteil zu verkehren scheint, ist jedoch weniger eindeutig, als es zunächst den Anschein erweckt, affirmiert doch beides den jeweils herrschenden Zustand: „Das ist eine Position, die mich in den Neunzigerjahren als eine Erfahrung des Systemwechsels interessiert hat und in Bezug auf eine Welt, die sich stark über Wachstum und Konsum definiert und in der mir diese Motivationsstrategie begegnet ist. Aber nie pur und rein.“ Eben kein ˏentweder-oderʽ, kein Schwarz und Weiß, sondern Grauzonen oder besser Orange und Magenta. Farben, die Nicolai wählte, weil sie im politischen Spektrum Ende der 1990er Jahre nicht klar besetzt waren.
Woraus ergibt sich der Bedeutungsgehalt im heutigen Zeit- und Ausstellungskontext im Rahmen von Tell me about yesterday tomorrow? „Fassbinder ging es, von seiner Position als Homosexueller, auch stark um Kritik an einer hierarchisch gegliederten, Genderfragen fast ignorierenden, homophoben Gesellschaft. Er wurde auch hier in München extrem angefeindet und war in einer Hassliebe mit dieser Stadt verbunden. Und der Nationalsozialismus und das NS-Dokumentationszentrum haben zu München eine sehr intensive Beziehung,“ erläutert Nicolai.

Die Plakate liegen auf Stapeln für die Besucher*innen zur Mitnahme bereit. In der Plakatwahl artikulieren sie eine Haltung, nur um daraufhin festzustellen, dass auf der Rückseite das jeweils andere Zitat steht. Genau um diese Neuverhandlung einer zuvor getroffenen Entscheidung geht es Nicolai: „Ich bezweifele, dass die Opposition tatsächlich die produktive Beschreibung dessen ist, was wir denken. Aber ich möchte das nicht über ein theoretisches Statement oder eine längere diskursive Arbeit vorstellen, sondern indem ich eine Methode verwende, die anbietet, sich mit einer Neuverhandlung zu beschäftigen. Man kann sich reflexiv dazu verhalten, man kann sich seine Gedanken dazu machen, aber es bleibt trotzdem offen.“
So zeigt Viele, die eine Ahnung haben… die Komplexität von Positionierungen in einer zur Polarisierung neigenden Gesellschaft auf. Ebenso wie Fontanes Roman und Fassbinders Film wird jedoch keine einfache, konkrete Lösung angeboten. Vielmehr bleibt der Appell zur Reflexion des eigenen Handelns mit/im/gegen die jeweiligen Systeme.
Von Mareike Schwarz, Studierende der Kunstgeschichte an der Ludwig-Maximilians-Universität München
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#TakeOver: Trotzdem oder gerade Deshalb
Olaf Nicolai über das Agieren mit/im/gegen Systeme
In einem Hauptseminar der Ludwig-Maximilians-Universität München haben Master- und Bachelor-Studierende des Bereichs Kunstgeschichte den Entstehungsprozess der Wechselausstellung „Tell me about yesterday tomorrow“ intensiv begleitet. Sie setzten sich mit ausgewählten Kunstwerken auseinander, waren bei der Eröffnung am 27. November 2019 Ansprechpartner*innen für die Besucher*innen und haben mit einzelnen Künstler*innen Interviews geführt. Daraus sind nun Beiträge für den Blog zur Ausstellung entstanden.
Macht es einen Unterschied, aus welcher Motivation heraus gehandelt wird? Selbst bei gleichem Resultat? Diese Frage eröffnet Olaf Nicolais Installation Viele, die eine Ahnung haben… von 1999. Darin nimmt der Künstler Bezug auf Rainer Werner Fassbinders 1974 gedrehte Romanverfilmung Fontane Effi Briest. Der Untertitel des Films ist auf zwei Plakaten abgedruckt – mit einem simplen Unterschied: „Indem das Wort ‚trotzdem‘ mit ‚deshalb‘ ersetzt wird, habe ich eine andere Perspektive von Motivation benannt. Dieses ‚deshalb‘ macht eine paradoxe Situation auf“, so der Künstler.

Was die Sinnaussage des Textes in's Gegenteil zu verkehren scheint, ist jedoch weniger eindeutig, als es zunächst den Anschein erweckt, affirmiert doch beides den jeweils herrschenden Zustand: „Das ist eine Position, die mich in den Neunzigerjahren als eine Erfahrung des Systemwechsels interessiert hat und in Bezug auf eine Welt, die sich stark über Wachstum und Konsum definiert und in der mir diese Motivationsstrategie begegnet ist. Aber nie pur und rein.“ Eben kein ˏentweder-oderʽ, kein Schwarz und Weiß, sondern Grauzonen oder besser Orange und Magenta. Farben, die Nicolai wählte, weil sie im politischen Spektrum Ende der 1990er Jahre nicht klar besetzt waren.
Woraus ergibt sich der Bedeutungsgehalt im heutigen Zeit- und Ausstellungskontext im Rahmen von Tell me about yesterday tomorrow? „Fassbinder ging es, von seiner Position als Homosexueller, auch stark um Kritik an einer hierarchisch gegliederten, Genderfragen fast ignorierenden, homophoben Gesellschaft. Er wurde auch hier in München extrem angefeindet und war in einer Hassliebe mit dieser Stadt verbunden. Und der Nationalsozialismus und das NS-Dokumentationszentrum haben zu München eine sehr intensive Beziehung,“ erläutert Nicolai.

Die Plakate liegen auf Stapeln für die Besucher*innen zur Mitnahme bereit. In der Plakatwahl artikulieren sie eine Haltung, nur um daraufhin festzustellen, dass auf der Rückseite das jeweils andere Zitat steht. Genau um diese Neuverhandlung einer zuvor getroffenen Entscheidung geht es Nicolai: „Ich bezweifele, dass die Opposition tatsächlich die produktive Beschreibung dessen ist, was wir denken. Aber ich möchte das nicht über ein theoretisches Statement oder eine längere diskursive Arbeit vorstellen, sondern indem ich eine Methode verwende, die anbietet, sich mit einer Neuverhandlung zu beschäftigen. Man kann sich reflexiv dazu verhalten, man kann sich seine Gedanken dazu machen, aber es bleibt trotzdem offen.“
So zeigt Viele, die eine Ahnung haben… die Komplexität von Positionierungen in einer zur Polarisierung neigenden Gesellschaft auf. Ebenso wie Fontanes Roman und Fassbinders Film wird jedoch keine einfache, konkrete Lösung angeboten. Vielmehr bleibt der Appell zur Reflexion des eigenen Handelns mit/im/gegen die jeweiligen Systeme.
Von Mareike Schwarz, Studierende der Kunstgeschichte an der Ludwig-Maximilians-Universität München