
Tell me about yesterday tomorrow
Nicolaus Schafhausen und Mirjam Zadoff über das Ausstellungsprojekt
Mit der Ausstellung Tell me about yesterday tomorrow am NS-Dokumentationszentrum München wird die Zukunft der Vergangenheit neu verhandelt: Zeit für ein Gespräch mit der Historikerin Mirjam Zadoff und dem Kurator Nicolaus Schafhausen über neue Lösungen des Miteinanders.
Wie kam die Idee zu diesem gemeinsamen Projekt zustande?
M: Es fing an mit einem Anruf in Wien, kurz nachdem Nicolaus seinen Rücktritt als Direktor der Kunsthalle Wien bekannt gegeben hatte. Ich war kurz davor aus den USA nach München gekommen, um die Leitung des NS-Dokumentationszentrums zu übernehmen. Das Haus war erst drei Jahre zuvor eröffnet worden und ich erbte eine noch ganz neue Dauerausstellung – das Ergebnis eines wissenschaftlichen Kraftaktes: von einem zu Zeiten großen Team wurde dafür das Versäumnis von Jahrzehnten nachgeholt und viele Aspekte der Geschichte Münchens im Nationalsozialismus zum ersten mal thematisiert. Da wollte man nichts auslassen, und das Ergebnis ist eine präzise und stringente Erzählung, die keine Frage unbeantwortet lassen will. Für mich war sofort klar, dass ich Raum für Fragen schaffen muss. Menschen tun sich zusehends schwer mit Autoritäten und Belehrung, und sie wollen sich selbst im Kontext von Ereignissen verorten: Was hat diese Geschichte mit mir zu tun und mit meiner Welt? Warum wählen Menschen heute wieder autoritäre Politiker, die erfundene Ideale kultureller Homogenität und Hegemonie in den Raum stellen? Welche kreativen Visionen können dem entgegen gestellt werden? Kunst fungiert im Kontext unseres Hauses als ein Weg, vielstimmige Narrative zuzulassen, als Anregung, Fragen zu formulieren. Nicolaus‘ Erfahrung in Wien und anderswo, seine Ausstellungen zu Themen wie Populismus, Heimat oder Entfremdung, seine sensible Wahrnehmung gesellschaftlicher und politischer Veränderungen passten da genau. Und zu meiner Freude fand er meine Einladung nicht seltsam – sondern gut.
N: Ich habe die Programmatik der von mir geleiteten Institutionen stets unter Leitmotive gestellt und in Kapiteln aufgebaut, auch unter anderen um der Versuchung sich selbst zu institutionalisieren, nicht zu erliegen. Die von mir kuratierten oder initiierten Ausstellungen zu den Themen wie Populismus und Entfremdung sind meiner Ansicht nach sehr wichtig gewesen, denn sie haben mir selbst ein Arbeitsethos aufgezeigt, an den ich bis heute beim Arbeiten glaube: Am Anfang steht die Idee, die gesellschaftlichen Fragestellungen entspringt. Nach meinem Entschluss die Kunsthalle Wien zu verlassen, geriet ich in große Kontroversen mit Politikern, Kulturvertretern, aber auch mit Berufskollegen und der Fachpresse, vielleicht auch weil ich nicht immer die Standpunkte einnahm, die damals populär waren, sondern die, die meinem Anspruch an Ehrlichkeit gerecht wurden. Bis heute erhalte ich dafür Kritik, jedoch beharre ich auf dem, was mein Verständnis von kultureller Gerechtigkeit und Auffassung entspricht; mein berufliches Leben ist heute wesentlich komplexer geworden. Für mich besteht die größte Gefahr für die Demokratie darin, dass es in der Politik, den Medien und der Kultur einen Mangel an Menschen gibt, die bereit sind, unbequeme Wahrheiten auszusprechen und an keine selbstkorrigierende Macht der Demokratie glauben. Wir haben zuviele Unstimmigkeiten an der Spitze, die Hand in Hand mit einem Konformismus jener einhergeht, die sich einer kulturellen Etikette anpassen, die großes Übel duldet. Dies findet man in politischen Parteien, Wirtschaftseliten, Universitäten und auch in Institutionen. Umso mehr habe ich mich über den Anruf aus München gefreut. Bei unserem ersten Treffen in München waren wir kurz voneinander irritiert. Mirjam, die Klare, mit präzisem Verstand. Ich, der doch eher unruhige Geist. Aber dann haben wir schnell gemerkt, dass uns beide eine Idee antreibt, um die gleichen Probleme zu lösen; wir ergänzen uns sehr gut!
Wie ist das Kurator*innen-Team an die Auswahl der Künstler*innen herangegangen?
N: Die Ausstellung und die zahlreichen assoziierten Projekte und Produktionen in Tell me about yesterday tomorrow ist für mich ein neuer Lösungsversuch, ein anderes ästhetisches Moment in das Kuratorische mit einzubeziehen. Denn gegenwärtig besitzen wir nicht die Institutionen, die uns die Probleme der Gegenwart repräsentieren können. Also müssen wir sie auf der künstlerischen, kuratorischen, auf einer denkenden Ebene verhandeln und versuchen zu zeigen, dass es trotzdem geht. Dafür sind uns durchaus Möglichkeiten gegeben die Formen von Ausstellungen und deren Gestaltungen zu verändern. Es wurde nur zu lange nicht darauf geschaut, dass es Grenzen gibt. Die Ausstellung soll nicht als moralisches Projekt etikettiert werden, sie wird dann wirksam, wenn sie eine bestimmte Form von ästhetischer Praxis findet. Nicht nur aus meiner Zeit in Wien, sondern bereits zuvor bei meiner Arbeit am Witte de With in Rotterdam habe ich u.a. in dem Ausstellungszyklus “Morality” immer wieder mit Künstler*innen zusammengearbeitet, die sich eben solchen Fragestellungen in ihrem Werk gestellt haben. Ich habe nie nicht nur die Kunst, sondern auch Geschichten und Biografien der Künstler*innen studiert mit denen ich zusammengearbeitet habe. Und bis heute entspricht es immer noch meiner Vorgehensweise, mir nahestehende Positionen auszusuchen. Aber ich muss mich nicht permanent mit Künstler*innen befreunden, um die Relevanz ihres Schaffens zu begreifen. Eine gewisse Distanz zu Künstler*innen tut mir ganz gut. Natürlich bin ich mit einzelnen Künstler*innen der Ausstellung wie Willem de Rooij oder Annette Kelm eng befreundet und stehe mit ihnen in ständigem Austausch. Man berät sich gegenseitig. Jedoch sollte man meiner Meinung nach als Kurator und beim Kuratieren selbstbewusst genug sein, Künstler*innen auf eitle Gefälligkeiten aufmerksam zu machen.
M: Die Wahl der Künstler*innen war ein extrem interessanter Aushandlungsprozess, in dem Namen aber auch Konzepte ausgetauscht wurden, in langen Gesprächen und hunderten von E-Mails oder Textnachrichten. Wir haben Themen gesammelt, die für unsere Arbeit im NS-Doku-Zentrum zentral sind, aber auch aktuelle Fragen, die grade aktuell wurden und historische Erfahrungen mit Gegenwart in Verbindung brachten unn bringen. Mich faszinieren im Kontext dieser Ausstellung grade die Geschichten, die erzählt werden, die narrativen Strukturen, das ‚tell me‘ als Aufforderung. Das entspricht meiner Wahrnehmung von Geschichte, das Weitergeben und die Veränderung, die mit der Erzählung passiert: Geschichte hat viel zu tun mit der Gegenwart, in der wir sie schreiben, und mit uns als Sammlern Erzähler, als denjenigen, die arrangieren, Bild und Text nebeneinanderstellen. Das verbindet Historiker*innen und Künstler*innen. Nachdem wir also viel gesprochen und uns ausgetauscht haben, sind eine ganze Reihe von Künstler*innen zu Besuch nach München gekommen, um sich das Haus anzuschauen und anzuhören, was wir vorhaben.
Wie verlief die Zusammenarbeit zwischen Künstler*innen und Historiker*innen?
M: Es war spannend zu sehen, wie die unterschiedlichen Künstler*innen auf die Dauerausstellung, das Haus und seine Geschichte reagiert haben - oft begeistert von der Klarheit, der Rationalität des Zugangs, manchmal überwältigt von der Last der Geschichte. Ihr Blick und ihre Eindrücke machten uns aufmerksam auf Vieles, Stärken und Schwächen der Dauerausstellung, Möglichkeitsräume, Blickrichtungen. Das war manchmal überraschend, irritierend, aber immer bereichernd. Manche Künstler*innen fragten, wo wir uns zwischen all der Geschichte noch Kunst vorstellten? Trotzdem fanden alle die Herausforderung interessant. In der Umsetzung bedurfte es dann vieler Kompromisse und Geduld bei allen Beteiligten. Alle Texte und die Einordnung der Arbeiten im Kontext des Hauses entstanden dann in enger Zusammenarbeit zwischen Historiker*innen, Kurator*innen und Künstler*innen. Wir wollen ja, dass beide Ausstellungen zusammenwachsen und sich gegenseitig ergänzen, aber auch stören. Als Aufforderung zum Erzählen, zum Fragenstellen.
N: Es war hochinteressant, herausfordernd und durchgehend von gegenseitigem Vertrauen geprägt. Eine größere Verbindung zwischen Kunst, Wissenschaft und anderen Disziplinen sowie den größeren kulturellen Feldern herzustellen, ist immer kompliziert; es geht auch darum die zukünftigen Beziehungen unserer Disziplinen neu auszuhandeln und in allen Bereiche des gesellschaftlichen Miteinanders unübersehbar zu sein. Tatsächlich glaube ich, dass es bis zu einem gewissen Grad eine Herausforderung des Systems darstellt (zumindest auf soziologischer Ebene) und, dass es bei meinen Arbeitgebern immer eine gewisse Erwartungshaltung ausgelöst hat, dass mein Beitrag zum Kuratieren im institutionellen Kontext unweigerlich irgendeine Veränderung ebendieses Feldes mit sich bringen würde. Gleichwohl hat mich das Zusammenarbeiten hier positiv erstaunt. Insbesondere das stets sensitive, genaue Vorgehen auf allen Seiten. Diese Form der Arbeit habe ich an keiner anderen Institution erlebt und dafür bin ich sehr dankbar.
Was kann Kunst zur Erinnerungskultur beitragen?
M: Vieles von dem, was wir ‚Erinnerungskultur‘ nennen, ist ja Kunst: Denkmäler, Mahnmäler, Kunst im öffentlichen Raum, Musik, Film, Theater und so weiter. Geschichtswissenschaft will ja ‚objektiv‘ darstellen, wie es gewesen ist. Das ist utopisch, aber man versucht, sich dem anzunähern. Für mich war es immer essentiell zu reflektieren, aus welchem Blick wir auf Vergangenes schauen. Geschichte als Wissenschaft hat sich in den letzten Jahrzehnten zu einem ungewöhnlich selbstreflektierten akademischen Feld entwickelt. Das Erinnern an Nationalsozialismus und Holocaust hat viel damit zu tun: wer darf erzählen, in welchem nationalen Kontext steht Erinnerung, welche Rolle spielt die Nachkommenschaft auf der Seite der Verfolgten oder der Verfolger? Da geht es um Vielstimmigkeit, um Vielschichtigkeit und Kontext. Jeder, der Geschichte erzählt, tut es anderes, auf seine oder ihre Weise. Kurosawas ‚Rashomon‘ ist dafür das beste Beispiel – ein guter Freund und ehemaliger Lehrer hat es immer als Beispiel benutzt in seinen Einführungseminaren. Und da kann Kunst viele Nuancen ins Spiel bringen, Diskurse aufbrechen, Fragen formulieren - nachdem die Antworten schon gefunden wurden.
N: Prinzipiell bin ich der Auffassung, dass man in der Kunst alles machen, denken, probieren, versuchen und träumen sollte. Kunst muss ein Ort sein, an dem man die gegenwärtigen Diskussionen darüber fordern kann, wie wir unsere Beziehungen zueinander und zu den Orten, die wir einnehmen und/oder an denen wir funktionieren müssen, neu ordnen kann. Eine wichtige Frage ist für mich, was halten wir dagegen, welche Funktion hat die Kunst in Zukunft? Was kann sie bewirken und verändern? Wir alle müssen uns daranmachen, in der Form und dem Umgang auch bei dem Thema „Erinnerungskultur“ etwas ganz anderes zu entwickeln. Unbequem sein und unsere eigene Passivität verlassen, Ausstellungen wie diese als Diskussionsmaterial verstehen.
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Nicolaus Schafhausen und Mirjam Zadoff über das Ausstellungsprojekt
Mit der Ausstellung Tell me about yesterday tomorrow am NS-Dokumentationszentrum München wird die Zukunft der Vergangenheit neu verhandelt: Zeit für ein Gespräch mit der Historikerin Mirjam Zadoff und dem Kurator Nicolaus Schafhausen über neue Lösungen des Miteinanders.
Wie kam die Idee zu diesem gemeinsamen Projekt zustande?
M: Es fing an mit einem Anruf in Wien, kurz nachdem Nicolaus seinen Rücktritt als Direktor der Kunsthalle Wien bekannt gegeben hatte. Ich war kurz davor aus den USA nach München gekommen, um die Leitung des NS-Dokumentationszentrums zu übernehmen. Das Haus war erst drei Jahre zuvor eröffnet worden und ich erbte eine noch ganz neue Dauerausstellung – das Ergebnis eines wissenschaftlichen Kraftaktes: von einem zu Zeiten großen Team wurde dafür das Versäumnis von Jahrzehnten nachgeholt und viele Aspekte der Geschichte Münchens im Nationalsozialismus zum ersten mal thematisiert. Da wollte man nichts auslassen, und das Ergebnis ist eine präzise und stringente Erzählung, die keine Frage unbeantwortet lassen will. Für mich war sofort klar, dass ich Raum für Fragen schaffen muss. Menschen tun sich zusehends schwer mit Autoritäten und Belehrung, und sie wollen sich selbst im Kontext von Ereignissen verorten: Was hat diese Geschichte mit mir zu tun und mit meiner Welt? Warum wählen Menschen heute wieder autoritäre Politiker, die erfundene Ideale kultureller Homogenität und Hegemonie in den Raum stellen? Welche kreativen Visionen können dem entgegen gestellt werden? Kunst fungiert im Kontext unseres Hauses als ein Weg, vielstimmige Narrative zuzulassen, als Anregung, Fragen zu formulieren. Nicolaus‘ Erfahrung in Wien und anderswo, seine Ausstellungen zu Themen wie Populismus, Heimat oder Entfremdung, seine sensible Wahrnehmung gesellschaftlicher und politischer Veränderungen passten da genau. Und zu meiner Freude fand er meine Einladung nicht seltsam – sondern gut.
N: Ich habe die Programmatik der von mir geleiteten Institutionen stets unter Leitmotive gestellt und in Kapiteln aufgebaut, auch unter anderen um der Versuchung sich selbst zu institutionalisieren, nicht zu erliegen. Die von mir kuratierten oder initiierten Ausstellungen zu den Themen wie Populismus und Entfremdung sind meiner Ansicht nach sehr wichtig gewesen, denn sie haben mir selbst ein Arbeitsethos aufgezeigt, an den ich bis heute beim Arbeiten glaube: Am Anfang steht die Idee, die gesellschaftlichen Fragestellungen entspringt. Nach meinem Entschluss die Kunsthalle Wien zu verlassen, geriet ich in große Kontroversen mit Politikern, Kulturvertretern, aber auch mit Berufskollegen und der Fachpresse, vielleicht auch weil ich nicht immer die Standpunkte einnahm, die damals populär waren, sondern die, die meinem Anspruch an Ehrlichkeit gerecht wurden. Bis heute erhalte ich dafür Kritik, jedoch beharre ich auf dem, was mein Verständnis von kultureller Gerechtigkeit und Auffassung entspricht; mein berufliches Leben ist heute wesentlich komplexer geworden. Für mich besteht die größte Gefahr für die Demokratie darin, dass es in der Politik, den Medien und der Kultur einen Mangel an Menschen gibt, die bereit sind, unbequeme Wahrheiten auszusprechen und an keine selbstkorrigierende Macht der Demokratie glauben. Wir haben zuviele Unstimmigkeiten an der Spitze, die Hand in Hand mit einem Konformismus jener einhergeht, die sich einer kulturellen Etikette anpassen, die großes Übel duldet. Dies findet man in politischen Parteien, Wirtschaftseliten, Universitäten und auch in Institutionen. Umso mehr habe ich mich über den Anruf aus München gefreut. Bei unserem ersten Treffen in München waren wir kurz voneinander irritiert. Mirjam, die Klare, mit präzisem Verstand. Ich, der doch eher unruhige Geist. Aber dann haben wir schnell gemerkt, dass uns beide eine Idee antreibt, um die gleichen Probleme zu lösen; wir ergänzen uns sehr gut!
Wie ist das Kurator*innen-Team an die Auswahl der Künstler*innen herangegangen?
N: Die Ausstellung und die zahlreichen assoziierten Projekte und Produktionen in Tell me about yesterday tomorrow ist für mich ein neuer Lösungsversuch, ein anderes ästhetisches Moment in das Kuratorische mit einzubeziehen. Denn gegenwärtig besitzen wir nicht die Institutionen, die uns die Probleme der Gegenwart repräsentieren können. Also müssen wir sie auf der künstlerischen, kuratorischen, auf einer denkenden Ebene verhandeln und versuchen zu zeigen, dass es trotzdem geht. Dafür sind uns durchaus Möglichkeiten gegeben die Formen von Ausstellungen und deren Gestaltungen zu verändern. Es wurde nur zu lange nicht darauf geschaut, dass es Grenzen gibt. Die Ausstellung soll nicht als moralisches Projekt etikettiert werden, sie wird dann wirksam, wenn sie eine bestimmte Form von ästhetischer Praxis findet. Nicht nur aus meiner Zeit in Wien, sondern bereits zuvor bei meiner Arbeit am Witte de With in Rotterdam habe ich u.a. in dem Ausstellungszyklus “Morality” immer wieder mit Künstler*innen zusammengearbeitet, die sich eben solchen Fragestellungen in ihrem Werk gestellt haben. Ich habe nie nicht nur die Kunst, sondern auch Geschichten und Biografien der Künstler*innen studiert mit denen ich zusammengearbeitet habe. Und bis heute entspricht es immer noch meiner Vorgehensweise, mir nahestehende Positionen auszusuchen. Aber ich muss mich nicht permanent mit Künstler*innen befreunden, um die Relevanz ihres Schaffens zu begreifen. Eine gewisse Distanz zu Künstler*innen tut mir ganz gut. Natürlich bin ich mit einzelnen Künstler*innen der Ausstellung wie Willem de Rooij oder Annette Kelm eng befreundet und stehe mit ihnen in ständigem Austausch. Man berät sich gegenseitig. Jedoch sollte man meiner Meinung nach als Kurator und beim Kuratieren selbstbewusst genug sein, Künstler*innen auf eitle Gefälligkeiten aufmerksam zu machen.
M: Die Wahl der Künstler*innen war ein extrem interessanter Aushandlungsprozess, in dem Namen aber auch Konzepte ausgetauscht wurden, in langen Gesprächen und hunderten von E-Mails oder Textnachrichten. Wir haben Themen gesammelt, die für unsere Arbeit im NS-Doku-Zentrum zentral sind, aber auch aktuelle Fragen, die grade aktuell wurden und historische Erfahrungen mit Gegenwart in Verbindung brachten unn bringen. Mich faszinieren im Kontext dieser Ausstellung grade die Geschichten, die erzählt werden, die narrativen Strukturen, das ‚tell me‘ als Aufforderung. Das entspricht meiner Wahrnehmung von Geschichte, das Weitergeben und die Veränderung, die mit der Erzählung passiert: Geschichte hat viel zu tun mit der Gegenwart, in der wir sie schreiben, und mit uns als Sammlern Erzähler, als denjenigen, die arrangieren, Bild und Text nebeneinanderstellen. Das verbindet Historiker*innen und Künstler*innen. Nachdem wir also viel gesprochen und uns ausgetauscht haben, sind eine ganze Reihe von Künstler*innen zu Besuch nach München gekommen, um sich das Haus anzuschauen und anzuhören, was wir vorhaben.
Wie verlief die Zusammenarbeit zwischen Künstler*innen und Historiker*innen?
M: Es war spannend zu sehen, wie die unterschiedlichen Künstler*innen auf die Dauerausstellung, das Haus und seine Geschichte reagiert haben - oft begeistert von der Klarheit, der Rationalität des Zugangs, manchmal überwältigt von der Last der Geschichte. Ihr Blick und ihre Eindrücke machten uns aufmerksam auf Vieles, Stärken und Schwächen der Dauerausstellung, Möglichkeitsräume, Blickrichtungen. Das war manchmal überraschend, irritierend, aber immer bereichernd. Manche Künstler*innen fragten, wo wir uns zwischen all der Geschichte noch Kunst vorstellten? Trotzdem fanden alle die Herausforderung interessant. In der Umsetzung bedurfte es dann vieler Kompromisse und Geduld bei allen Beteiligten. Alle Texte und die Einordnung der Arbeiten im Kontext des Hauses entstanden dann in enger Zusammenarbeit zwischen Historiker*innen, Kurator*innen und Künstler*innen. Wir wollen ja, dass beide Ausstellungen zusammenwachsen und sich gegenseitig ergänzen, aber auch stören. Als Aufforderung zum Erzählen, zum Fragenstellen.
N: Es war hochinteressant, herausfordernd und durchgehend von gegenseitigem Vertrauen geprägt. Eine größere Verbindung zwischen Kunst, Wissenschaft und anderen Disziplinen sowie den größeren kulturellen Feldern herzustellen, ist immer kompliziert; es geht auch darum die zukünftigen Beziehungen unserer Disziplinen neu auszuhandeln und in allen Bereiche des gesellschaftlichen Miteinanders unübersehbar zu sein. Tatsächlich glaube ich, dass es bis zu einem gewissen Grad eine Herausforderung des Systems darstellt (zumindest auf soziologischer Ebene) und, dass es bei meinen Arbeitgebern immer eine gewisse Erwartungshaltung ausgelöst hat, dass mein Beitrag zum Kuratieren im institutionellen Kontext unweigerlich irgendeine Veränderung ebendieses Feldes mit sich bringen würde. Gleichwohl hat mich das Zusammenarbeiten hier positiv erstaunt. Insbesondere das stets sensitive, genaue Vorgehen auf allen Seiten. Diese Form der Arbeit habe ich an keiner anderen Institution erlebt und dafür bin ich sehr dankbar.
Was kann Kunst zur Erinnerungskultur beitragen?
M: Vieles von dem, was wir ‚Erinnerungskultur‘ nennen, ist ja Kunst: Denkmäler, Mahnmäler, Kunst im öffentlichen Raum, Musik, Film, Theater und so weiter. Geschichtswissenschaft will ja ‚objektiv‘ darstellen, wie es gewesen ist. Das ist utopisch, aber man versucht, sich dem anzunähern. Für mich war es immer essentiell zu reflektieren, aus welchem Blick wir auf Vergangenes schauen. Geschichte als Wissenschaft hat sich in den letzten Jahrzehnten zu einem ungewöhnlich selbstreflektierten akademischen Feld entwickelt. Das Erinnern an Nationalsozialismus und Holocaust hat viel damit zu tun: wer darf erzählen, in welchem nationalen Kontext steht Erinnerung, welche Rolle spielt die Nachkommenschaft auf der Seite der Verfolgten oder der Verfolger? Da geht es um Vielstimmigkeit, um Vielschichtigkeit und Kontext. Jeder, der Geschichte erzählt, tut es anderes, auf seine oder ihre Weise. Kurosawas ‚Rashomon‘ ist dafür das beste Beispiel – ein guter Freund und ehemaliger Lehrer hat es immer als Beispiel benutzt in seinen Einführungseminaren. Und da kann Kunst viele Nuancen ins Spiel bringen, Diskurse aufbrechen, Fragen formulieren - nachdem die Antworten schon gefunden wurden.
N: Prinzipiell bin ich der Auffassung, dass man in der Kunst alles machen, denken, probieren, versuchen und träumen sollte. Kunst muss ein Ort sein, an dem man die gegenwärtigen Diskussionen darüber fordern kann, wie wir unsere Beziehungen zueinander und zu den Orten, die wir einnehmen und/oder an denen wir funktionieren müssen, neu ordnen kann. Eine wichtige Frage ist für mich, was halten wir dagegen, welche Funktion hat die Kunst in Zukunft? Was kann sie bewirken und verändern? Wir alle müssen uns daranmachen, in der Form und dem Umgang auch bei dem Thema „Erinnerungskultur“ etwas ganz anderes zu entwickeln. Unbequem sein und unsere eigene Passivität verlassen, Ausstellungen wie diese als Diskussionsmaterial verstehen.