
#TakeOver: It’s not midnight yet
Boy Vereeckens Hommage an Martyl Langsdorf
In einem Hauptseminar der Ludwig-Maximilians-Universität München haben Master- und Bachelor-Studierende des Bereichs Kunstgeschichte den Entstehungsprozess der Wechselausstellung „Tell me about yesterday tomorrow“ intensiv begleitet. Sie setzten sich mit ausgewählten Kunstwerken auseinander, waren bei der Eröffnung am 27. November 2019 Ansprechpartner*innen für die Besucher*innen und haben mit einzelnen Künstler*innen Interviews geführt. Daraus sind nun Beiträge für den Blog zur Ausstellung entstanden.
Ich traf Boy Vereecken, Grafikdesigner der Ausstellung Tell me about yesterday tomorrow, im NS-Dokumentationszentrum München etwa zur Mittagszeit. Er und seine Grafikagentur hatten sich für eine Uhr als Hauptmotiv des Ausstellungsdesigns entschieden. Der Entwurf ist eine Hommage an die von Martyl Langsdorf entwickelte Doomsday Clock – eine symbolische Weltuntergangsuhr.
Vereecken beschreibt seine Vorgehensweise wie folgt: „Eine Methodik in unserem Büro ist es, bereits existierende Gegenstände zu verwenden – wir nennen das ,as found’ (,wie gefunden’). Dieser Ausdruck bezieht sich auch auf ein Buch zur Architektur des Brutalismus, das unter dem gleichen Namen veröffentlicht wurde. Darin beschreibt ,as found’ eine bestimmte Sichtweise auf Dinge, die es bereits gibt. Das Erscheinungsbild von Tell me about yesterday tomorrow, also die Uhr, ist eigentlich eine Hommage an Martyl Langsdorfs Doomsday Clock. Es handelt sich um ein bestehendes Konzept, das neu aufgegriffen wurde.“
Wer war Martyl Langsdorf? Einer ihrer Entwürfe hat Kultstatus, obwohl sie selbst die Aufmerksamkeit der breiten Öffentlichkeit nicht wirklich gewinnen konnte. Sie ist die Schöpferin der Doomsday Clock, das Titelbild der Zeitschrift Bulletin of the Atomic Scientists vom Juni 1947. Die Doomsday Clock funktioniert seither als unverkennbares Symbol, um auf die Wahrscheinlichkeit einer menschgemachten globalen Katastrophe hinzuweisen. Sobald die Uhr Mitternacht zeigt, wäre diese Katastrophe gegeben.
Boy Vereecken weiter zu seinem Design: „Die ursprüngliche Uhr auf dem Titel des Bulletin of the Atomic Scientists zeigt 7 Minuten bis Mitternacht an. Wir adaptierten das Symbol der Uhr als eine Art dauerhaftes Wasserzeichen, das über Abbildungen gelegt werden konnte. Der Titel Tell me about yesterday tomorrow ist ein Verweis auf Zeit, also habe ich nach einer Möglichkeit gesucht im Design ein Narrativ zu schaffen. Wir versuchen bei unseren Entwürfen immer eher Narrative anstatt Logos zu erzeugen – ein Erscheinungsbild, das eine Ausstellung dauerhaft unterstützen oder sogar erklären kann.“
Die Doomsday Clock läuft kontinuierlich. Das Bulletin of the Atomic Scientists veröffentlicht jeden Januar eine aktuelle Abbildung von ihr. Seit 2020 steht die Doomsday Clock auf 100 Sekunden vor Mitternacht. Sie stand noch niemals zuvor so nah an der Apokalypse. Die Uhr des Ausstellungsdesigns zeigt allerdings eine andere Uhrzeit. Boy Vereecken erklärt warum: „Da das Wort ,yesterday’ im Ausstellungstitel durchgestrichen ist, überdeckt einer der Uhrzeiger das Wort ,yesterday’. Hätten wir die Uhr auf zwei Minuten vor Mitternacht gestellt – das war die Weltlage zum Zeitpunkt der Entwicklung des Designs – wäre auch ,tomorrow‘ überdeckt worden, was nicht gerade hoffnungsvoll gewesen wäre.“
Ich bin froh, dass ,tomorrow‘ geblieben ist. Die Doomsday Clock verfügt im Vergleich zu einer normalen Uhr über kein lineares System. Seit dem Entwurf dieses ikonischen Symbols durch Martyl Langsdorf im Jahr 1947 wandert der Minutenzeiger bis zur zwölf immer wieder vor und zurück. Er dient als ständige Warnung. Etwas muss sich ändern, sonst läuft die Uhr weiter Richtung Katastrophe. Wir müssen aus der Vergangenheit lernen, um die Zukunft zu formen.
Von Julia Anna Wittmann, Studierende der Kunstgeschichte an der Ludwig-Maximilians-Universität München
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#TakeOver: It’s not midnight yet
Boy Vereeckens Hommage an Martyl Langsdorf
In einem Hauptseminar der Ludwig-Maximilians-Universität München haben Master- und Bachelor-Studierende des Bereichs Kunstgeschichte den Entstehungsprozess der Wechselausstellung „Tell me about yesterday tomorrow“ intensiv begleitet. Sie setzten sich mit ausgewählten Kunstwerken auseinander, waren bei der Eröffnung am 27. November 2019 Ansprechpartner*innen für die Besucher*innen und haben mit einzelnen Künstler*innen Interviews geführt. Daraus sind nun Beiträge für den Blog zur Ausstellung entstanden.
Ich traf Boy Vereecken, Grafikdesigner der Ausstellung Tell me about yesterday tomorrow, im NS-Dokumentationszentrum München etwa zur Mittagszeit. Er und seine Grafikagentur hatten sich für eine Uhr als Hauptmotiv des Ausstellungsdesigns entschieden. Der Entwurf ist eine Hommage an die von Martyl Langsdorf entwickelte Doomsday Clock – eine symbolische Weltuntergangsuhr.
Vereecken beschreibt seine Vorgehensweise wie folgt: „Eine Methodik in unserem Büro ist es, bereits existierende Gegenstände zu verwenden – wir nennen das ,as found’ (,wie gefunden’). Dieser Ausdruck bezieht sich auch auf ein Buch zur Architektur des Brutalismus, das unter dem gleichen Namen veröffentlicht wurde. Darin beschreibt ,as found’ eine bestimmte Sichtweise auf Dinge, die es bereits gibt. Das Erscheinungsbild von Tell me about yesterday tomorrow, also die Uhr, ist eigentlich eine Hommage an Martyl Langsdorfs Doomsday Clock. Es handelt sich um ein bestehendes Konzept, das neu aufgegriffen wurde.“
Wer war Martyl Langsdorf? Einer ihrer Entwürfe hat Kultstatus, obwohl sie selbst die Aufmerksamkeit der breiten Öffentlichkeit nicht wirklich gewinnen konnte. Sie ist die Schöpferin der Doomsday Clock, das Titelbild der Zeitschrift Bulletin of the Atomic Scientists vom Juni 1947. Die Doomsday Clock funktioniert seither als unverkennbares Symbol, um auf die Wahrscheinlichkeit einer menschgemachten globalen Katastrophe hinzuweisen. Sobald die Uhr Mitternacht zeigt, wäre diese Katastrophe gegeben.
Boy Vereecken weiter zu seinem Design: „Die ursprüngliche Uhr auf dem Titel des Bulletin of the Atomic Scientists zeigt 7 Minuten bis Mitternacht an. Wir adaptierten das Symbol der Uhr als eine Art dauerhaftes Wasserzeichen, das über Abbildungen gelegt werden konnte. Der Titel Tell me about yesterday tomorrow ist ein Verweis auf Zeit, also habe ich nach einer Möglichkeit gesucht im Design ein Narrativ zu schaffen. Wir versuchen bei unseren Entwürfen immer eher Narrative anstatt Logos zu erzeugen – ein Erscheinungsbild, das eine Ausstellung dauerhaft unterstützen oder sogar erklären kann.“
Die Doomsday Clock läuft kontinuierlich. Das Bulletin of the Atomic Scientists veröffentlicht jeden Januar eine aktuelle Abbildung von ihr. Seit 2020 steht die Doomsday Clock auf 100 Sekunden vor Mitternacht. Sie stand noch niemals zuvor so nah an der Apokalypse. Die Uhr des Ausstellungsdesigns zeigt allerdings eine andere Uhrzeit. Boy Vereecken erklärt warum: „Da das Wort ,yesterday’ im Ausstellungstitel durchgestrichen ist, überdeckt einer der Uhrzeiger das Wort ,yesterday’. Hätten wir die Uhr auf zwei Minuten vor Mitternacht gestellt – das war die Weltlage zum Zeitpunkt der Entwicklung des Designs – wäre auch ,tomorrow‘ überdeckt worden, was nicht gerade hoffnungsvoll gewesen wäre.“
Ich bin froh, dass ,tomorrow‘ geblieben ist. Die Doomsday Clock verfügt im Vergleich zu einer normalen Uhr über kein lineares System. Seit dem Entwurf dieses ikonischen Symbols durch Martyl Langsdorf im Jahr 1947 wandert der Minutenzeiger bis zur zwölf immer wieder vor und zurück. Er dient als ständige Warnung. Etwas muss sich ändern, sonst läuft die Uhr weiter Richtung Katastrophe. Wir müssen aus der Vergangenheit lernen, um die Zukunft zu formen.
Von Julia Anna Wittmann, Studierende der Kunstgeschichte an der Ludwig-Maximilians-Universität München