
#TakeOver: „Es ist alles viel vielschichtiger als wir manchmal glauben“
Erfahrung, Erinnerung und das Sprechenlassen mit Cana Bilir-Meier
In einem Hauptseminar der Ludwig-Maximilians-Universität München haben Master- und Bachelor-Studierende des Bereichs Kunstgeschichte den Entstehungsprozess der Wechselausstellung „Tell me about yesterday tomorrow“ intensiv begleitet. Sie setzten sich mit ausgewählten Kunstwerken auseinander, waren bei der Eröffnung am 27. November 2019 Ansprechpartner*innen für die Besucher*innen und haben mit einzelnen Künstler*innen Interviews geführt. Daraus sind nun Beiträge für den Blog zur Ausstellung entstanden.
Nachmittags im Cafe Deli Star in der Münchner Amalienstraße. Ganz spontan hatte die Künstlerin Cana Bilir-Meier einer Anfrage für ein Interview am Tag zuvor zugesagt. Mit jeweils einem Glas Pfefferminztee vor uns, begannen wir das Interview, welches sich zu einem fast einstündigen Gespräch entwickelte. Im Folgenden eine gekürzte Version, die sich besonders auf die Aspekte Bilir-Meiers filmischen Arbeit This Makes Me Want to Predict the Past und ihrer künstlerischen Praxis im Kontext der Ausstellung Tell meabout yesterdaytomorrow fokussiert.

This Makes Me Want to Predict the Past folgt zwei Jugendlichen im Olympia-Einkaufszentrum, München, einem Ort, an dem 2016 ein rassistischer Anschlag verübt wurde. Was war dein Anreiz an der Ausstellung teilzunehmen und wie ist dein Mitwirken zustande gekommen?
„Als das NS-Dokumentationszentrum München mich für das Projekt angefragt hat, habe ich mich parallel für meine Ausstellung im Kunstverein in Hamburg vorbereitet und dazu auch eine neue Arbeit konzipiert, den Film ThisMakesMe Want to PredictthePast, der auch zur Ausstellung im NS-Dokumentationszentrum passt. Das Konzept einer Intervention in die Dauerausstellung mit zeitgenössischen Projekten, Ideen und Gedanken als Beiträge oder Kommentare zur Geschichte des Nationalsozialismus finde ich interessant, weil der Nationalsozialismus und Kolonialismus Nachwirkungen hat. Rassismus, Antisemitismus und Diskriminierung sind nicht nur Teil unserer Gesellschaft, sondern strukturieren diese sogar. “
Wie findet sich das Werk im Kontext des NS-Dokumentationszentrums als historisches Museum oder als Lern- und Erinnerungsort ein?
„Es ist alles vielschichtiger als wir manchmal glauben. Der Täter des rassistischen Anschlags im Olympia-Einkaufszentrum 2016 bezieht sich auf den Nationalsozialismus und andere vergangene rassistische Anschläge. Rassistische Anschläge wie in München, Hanau oder Halle geschehen nicht aus dem Nichts, sondern haben eine Kontinuität; der Rassismus funktioniert bis heute aus dieser Kontinuität heraus. Um das Heute zu verstehen, müssen wir die Vergangenheit ansprechen, dafür ist das NS-Dokumentationszentrum passend. Die Vergangenheit ist nicht vorbei, sondern wirkt sich auf die Gegenwart und Zukunft aus und es gibt immer Bezüge zueinander.
Meine Arbeiten sind fragmentarisch und liefern keine Antworten.
In meinen Werken verarbeite ich Teilaspekte, vermittele ein Gefühl, eine Perspektive, wie zum Beispiel die migrantsiche oder spreche etwas an ohne direkt eine Lösung dazu zu liefern. Zum Beispiel im Off-Text zum Film, mit Youtube-Kommentaren des Childish Gambino Songs Redbone, aus denen auch der Titel ThisMakes Me Want to Predict the Past stammt. Diese Kommentare haben Personen über ihre Utopien, Träume, Alpträume, Hoffnungen oder Wünsche geschrieben, wobei sich viele dieser Sätze wiedersprechen oder eine andere Gesellschaft und Erzählung imaginieren. Für mich sind diese teils widersprüchlich, aber im produktiven Sinne. Denn Widersprüche sind auch ein Symbolbild für die Migration als Entfremdung. Das Konzept von Heimat ist eine Konstruktion und nicht an einen Ort oder eine Nationalität gebunden. Es ist wichtig sich das Unvorstellbare oder Utopische ins Gedächtnis zu holen, um auch den Status-Quo unserer Gesellschaftsnormen zu hinterfragen.“
Wie positionierst du dich zum Begriff der „Kollektiven Erinnerung“ oder besser „Anreihung pluralistischer Narrative“?
„Wir sollten nachdenken, wer das ˏWirʽ ist. Auch ob wir eine solidarische und demokratische Gesellschaft sind? Ich finde z.B. die Initiativen wie Die Vielen wichtig, aber ich frage mich, ob wir wirklich ˏDie Vielenʽ sind oder ob das nicht ein Euphemismus ist, welcher der Realität nicht entspricht? Ein gutes Beispiel dafür ist, die Frage nachdem, was als Wissen anerkannt wird und in welchen Formen? Es gibt beispielsweise den Begriff des „migrantisch situierten Wissens“ (Tribunal NSU-Komplex auflösen). Das bedeutet, dass die von Rassismus betroffenen Personen, Experten*innen zu diesem Thema sind. Oft werden deren Erfahrungen und die von Ihnen entwickelten Strategien aber nicht als wahr oder wichtig angesehen, anerkannt oder überhaupt angehört. Wir haben ein Hierarchiesystem, ein ganz starkes Klassensystem, auf dem alles aufbaut – wie wir denken und fühlen, unsere Schulen und Universitäten sind danach strukturiert.“
Wie kann man Leuten diese wichtigen und gleichzeitig komplexen Themen näherbringen – vielleicht auch jenen, die kein eigenständiges Interesse daran haben?
„Wichtig ist, in der schulischen Bildung anzufangen. Ich habe in der Schule zum Beispiel nichts zur Geschichte der Arbeitsmigration aus den 1960er Jahren gelernt, welche die Geschichte meiner Familie ist. Oder zur Geschichte des deutschen Kolonialismus. Das sind wichtige Themen, um das Heute zu verstehen und zu verstehen, wie Rassismus oder Nationalismus funktionieren und auch entgegengewirkt werden kann. Das ist auch wichtig, weil Migration und Kolonialismus Teil der deutschen Geschichte sind, diese aber selten erzählt oder gelehrt werden. Auch Ausstellungen, Kunst und Kulturräume können eine wichtige Funktion einnehmen und diese Perspektiven sowie ausgeblendete Erinnerungen und Geschichten weiter oder anders erzählen und solidarische und demokratische Orte sein. Dafür müssen Kunsträume selbst aber noch einen weiteren Wandel erleben, da sie auch Ausschlüsse produzieren und elitär sind. In der Auseinandersetzung wirkt dann alles zusammen.
Generell ist es wichtig, dass diejenigen Personen sprechen, die von Rassismus betroffen sind – wie beispielweise Ibrahim Arslan. Er ist Opfer und Überlebender des rassistischen Anschlags in Mölln und politischer Aktivist. Weil Diskriminierungserfahrungen oft nicht als Wissen anerkannt werden, besteht immer die Gefahr, dass Betroffene gar nicht erst gehört werden oder dass andere Leute, die die Erfahrung nicht gemacht haben, stattdessen für sie oder über sie sprechen oder ihnen Rassismuserfahrungen sogar absprechen. Es geht auch darum, dass Erfahrungen wie die von Migration, schwer verstanden werden können, wenn man sie nicht selbst durchlebt hat. Dennoch können wir die Perspektive des Gegenübers einnehmen und solidarisch sein – das müssen wir sogar. Aber die Erfahrung ansich – mit Körper und Geist – macht nur der- oder diejenige, der oder die es selbst erlebt hat. Kunst ist dabei ein Werkzeug, um über die individuellen und kollektiven Realitäten nachzudenken. Trotzdem muss über eine Repräsentationsfunktion hinausgegangen und auch strukturell gearbeitet werden. Wenn wir die Kunsträume jetzt als Beispiel nehmen, dann ist es sehr wichtig, dass migrantische, indigene, lesbische, queere, trans-Künstler*innen und Künstler*innen of Color mehr Sichtbarkeit bekommen. Jedoch muss sich das bei Institutionen auch in (personellen) Strukturen und in Entscheidungsprozessen widerspiegeln. In Universitäten oder Schulen würde das bedeuten zu hinterfragen, welches Wissen anerkannt und gelehrt, in welcher Sprache gesprochen wird und wer unterrichtet etc.“

Kann die Kunst als Werkzeug geschichts- oder sogar zukunftsschreibend sein?
„Ich glaube, künstlerisches Arbeiten ist für mich auch ein politisches Medium, weil die Kunst etwas zeitlos machen kann. Sie ist ein wichtiges Mittel, um Perspektiven aufzuzeigen, die die zeitliche Ebene überbrücken – wie das Aufzeichnen eines Interviews. Ich glaube aber auch, dass man von der Idealisierung der Kunst oder des/der Künstler*in wegkommen muss. Kunst ist ebenso ein Machtinstrument und ein Werkzeug – wie ein Stift mit dem man schreibt. Es geht nicht darum, dass die Kunst der Stift ist, sondern darum, was man schreibt und wer es schreibt und welche persönlichen Geschichten der/die Autor*in mitbringt. Wichtig ist, die vielen verschieden Perspektiven, aus denen die Gesellschaft besteht, sichtbar zu machen. All das hat ein Potential, das genutzt werden muss. Ich würde mir auch wünschen, wegzukommen von Erinnerung als einzig das, was vergangen ist, auch wenn wir darauf trainiert sind, chronologisch und linear zu denken und zu erzählen. In der Gedächtnis- und Traumaforschung gibt es interessante Ergebnisse: Unser Gehirn funktioniert nicht wie ein Buch, in dem wir zurückblättern und uns immer wieder an das Gleiche erinnern. Stattdessen schreibt das Gehirn unsere Erinnerungen weiter, womit sie sich auch verändern können. Wir lernen aus unseren Erfahrungen, bearbeiten unsere Erinnerungen und finden neue Bezüge dazu. Ich würde mir wünschen, dass viele Dinge nicht getrennt voneinander stehen, sondern in Beziehungen zueinander gesetzt werden und wir aktiv daran arbeiten. Sodass wir zum Beispiel Erinnerung und Geschichte nicht als etwas konträres betrachten.“
Von Teresa Rauner, Studierende der Kunstgeschichte an der Ludwig-Maximilians-Universität München
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#TakeOver: „Es ist alles viel vielschichtiger als wir manchmal glauben“
Erfahrung, Erinnerung und das Sprechenlassen mit Cana Bilir-Meier
In einem Hauptseminar der Ludwig-Maximilians-Universität München haben Master- und Bachelor-Studierende des Bereichs Kunstgeschichte den Entstehungsprozess der Wechselausstellung „Tell me about yesterday tomorrow“ intensiv begleitet. Sie setzten sich mit ausgewählten Kunstwerken auseinander, waren bei der Eröffnung am 27. November 2019 Ansprechpartner*innen für die Besucher*innen und haben mit einzelnen Künstler*innen Interviews geführt. Daraus sind nun Beiträge für den Blog zur Ausstellung entstanden.
Nachmittags im Cafe Deli Star in der Münchner Amalienstraße. Ganz spontan hatte die Künstlerin Cana Bilir-Meier einer Anfrage für ein Interview am Tag zuvor zugesagt. Mit jeweils einem Glas Pfefferminztee vor uns, begannen wir das Interview, welches sich zu einem fast einstündigen Gespräch entwickelte. Im Folgenden eine gekürzte Version, die sich besonders auf die Aspekte Bilir-Meiers filmischen Arbeit This Makes Me Want to Predict the Past und ihrer künstlerischen Praxis im Kontext der Ausstellung Tell meabout yesterdaytomorrow fokussiert.

This Makes Me Want to Predict the Past folgt zwei Jugendlichen im Olympia-Einkaufszentrum, München, einem Ort, an dem 2016 ein rassistischer Anschlag verübt wurde. Was war dein Anreiz an der Ausstellung teilzunehmen und wie ist dein Mitwirken zustande gekommen?
„Als das NS-Dokumentationszentrum München mich für das Projekt angefragt hat, habe ich mich parallel für meine Ausstellung im Kunstverein in Hamburg vorbereitet und dazu auch eine neue Arbeit konzipiert, den Film ThisMakesMe Want to PredictthePast, der auch zur Ausstellung im NS-Dokumentationszentrum passt. Das Konzept einer Intervention in die Dauerausstellung mit zeitgenössischen Projekten, Ideen und Gedanken als Beiträge oder Kommentare zur Geschichte des Nationalsozialismus finde ich interessant, weil der Nationalsozialismus und Kolonialismus Nachwirkungen hat. Rassismus, Antisemitismus und Diskriminierung sind nicht nur Teil unserer Gesellschaft, sondern strukturieren diese sogar. “
Wie findet sich das Werk im Kontext des NS-Dokumentationszentrums als historisches Museum oder als Lern- und Erinnerungsort ein?
„Es ist alles vielschichtiger als wir manchmal glauben. Der Täter des rassistischen Anschlags im Olympia-Einkaufszentrum 2016 bezieht sich auf den Nationalsozialismus und andere vergangene rassistische Anschläge. Rassistische Anschläge wie in München, Hanau oder Halle geschehen nicht aus dem Nichts, sondern haben eine Kontinuität; der Rassismus funktioniert bis heute aus dieser Kontinuität heraus. Um das Heute zu verstehen, müssen wir die Vergangenheit ansprechen, dafür ist das NS-Dokumentationszentrum passend. Die Vergangenheit ist nicht vorbei, sondern wirkt sich auf die Gegenwart und Zukunft aus und es gibt immer Bezüge zueinander.
Meine Arbeiten sind fragmentarisch und liefern keine Antworten.
In meinen Werken verarbeite ich Teilaspekte, vermittele ein Gefühl, eine Perspektive, wie zum Beispiel die migrantsiche oder spreche etwas an ohne direkt eine Lösung dazu zu liefern. Zum Beispiel im Off-Text zum Film, mit Youtube-Kommentaren des Childish Gambino Songs Redbone, aus denen auch der Titel ThisMakes Me Want to Predict the Past stammt. Diese Kommentare haben Personen über ihre Utopien, Träume, Alpträume, Hoffnungen oder Wünsche geschrieben, wobei sich viele dieser Sätze wiedersprechen oder eine andere Gesellschaft und Erzählung imaginieren. Für mich sind diese teils widersprüchlich, aber im produktiven Sinne. Denn Widersprüche sind auch ein Symbolbild für die Migration als Entfremdung. Das Konzept von Heimat ist eine Konstruktion und nicht an einen Ort oder eine Nationalität gebunden. Es ist wichtig sich das Unvorstellbare oder Utopische ins Gedächtnis zu holen, um auch den Status-Quo unserer Gesellschaftsnormen zu hinterfragen.“
Wie positionierst du dich zum Begriff der „Kollektiven Erinnerung“ oder besser „Anreihung pluralistischer Narrative“?
„Wir sollten nachdenken, wer das ˏWirʽ ist. Auch ob wir eine solidarische und demokratische Gesellschaft sind? Ich finde z.B. die Initiativen wie Die Vielen wichtig, aber ich frage mich, ob wir wirklich ˏDie Vielenʽ sind oder ob das nicht ein Euphemismus ist, welcher der Realität nicht entspricht? Ein gutes Beispiel dafür ist, die Frage nachdem, was als Wissen anerkannt wird und in welchen Formen? Es gibt beispielsweise den Begriff des „migrantisch situierten Wissens“ (Tribunal NSU-Komplex auflösen). Das bedeutet, dass die von Rassismus betroffenen Personen, Experten*innen zu diesem Thema sind. Oft werden deren Erfahrungen und die von Ihnen entwickelten Strategien aber nicht als wahr oder wichtig angesehen, anerkannt oder überhaupt angehört. Wir haben ein Hierarchiesystem, ein ganz starkes Klassensystem, auf dem alles aufbaut – wie wir denken und fühlen, unsere Schulen und Universitäten sind danach strukturiert.“
Wie kann man Leuten diese wichtigen und gleichzeitig komplexen Themen näherbringen – vielleicht auch jenen, die kein eigenständiges Interesse daran haben?
„Wichtig ist, in der schulischen Bildung anzufangen. Ich habe in der Schule zum Beispiel nichts zur Geschichte der Arbeitsmigration aus den 1960er Jahren gelernt, welche die Geschichte meiner Familie ist. Oder zur Geschichte des deutschen Kolonialismus. Das sind wichtige Themen, um das Heute zu verstehen und zu verstehen, wie Rassismus oder Nationalismus funktionieren und auch entgegengewirkt werden kann. Das ist auch wichtig, weil Migration und Kolonialismus Teil der deutschen Geschichte sind, diese aber selten erzählt oder gelehrt werden. Auch Ausstellungen, Kunst und Kulturräume können eine wichtige Funktion einnehmen und diese Perspektiven sowie ausgeblendete Erinnerungen und Geschichten weiter oder anders erzählen und solidarische und demokratische Orte sein. Dafür müssen Kunsträume selbst aber noch einen weiteren Wandel erleben, da sie auch Ausschlüsse produzieren und elitär sind. In der Auseinandersetzung wirkt dann alles zusammen.
Generell ist es wichtig, dass diejenigen Personen sprechen, die von Rassismus betroffen sind – wie beispielweise Ibrahim Arslan. Er ist Opfer und Überlebender des rassistischen Anschlags in Mölln und politischer Aktivist. Weil Diskriminierungserfahrungen oft nicht als Wissen anerkannt werden, besteht immer die Gefahr, dass Betroffene gar nicht erst gehört werden oder dass andere Leute, die die Erfahrung nicht gemacht haben, stattdessen für sie oder über sie sprechen oder ihnen Rassismuserfahrungen sogar absprechen. Es geht auch darum, dass Erfahrungen wie die von Migration, schwer verstanden werden können, wenn man sie nicht selbst durchlebt hat. Dennoch können wir die Perspektive des Gegenübers einnehmen und solidarisch sein – das müssen wir sogar. Aber die Erfahrung ansich – mit Körper und Geist – macht nur der- oder diejenige, der oder die es selbst erlebt hat. Kunst ist dabei ein Werkzeug, um über die individuellen und kollektiven Realitäten nachzudenken. Trotzdem muss über eine Repräsentationsfunktion hinausgegangen und auch strukturell gearbeitet werden. Wenn wir die Kunsträume jetzt als Beispiel nehmen, dann ist es sehr wichtig, dass migrantische, indigene, lesbische, queere, trans-Künstler*innen und Künstler*innen of Color mehr Sichtbarkeit bekommen. Jedoch muss sich das bei Institutionen auch in (personellen) Strukturen und in Entscheidungsprozessen widerspiegeln. In Universitäten oder Schulen würde das bedeuten zu hinterfragen, welches Wissen anerkannt und gelehrt, in welcher Sprache gesprochen wird und wer unterrichtet etc.“

Kann die Kunst als Werkzeug geschichts- oder sogar zukunftsschreibend sein?
„Ich glaube, künstlerisches Arbeiten ist für mich auch ein politisches Medium, weil die Kunst etwas zeitlos machen kann. Sie ist ein wichtiges Mittel, um Perspektiven aufzuzeigen, die die zeitliche Ebene überbrücken – wie das Aufzeichnen eines Interviews. Ich glaube aber auch, dass man von der Idealisierung der Kunst oder des/der Künstler*in wegkommen muss. Kunst ist ebenso ein Machtinstrument und ein Werkzeug – wie ein Stift mit dem man schreibt. Es geht nicht darum, dass die Kunst der Stift ist, sondern darum, was man schreibt und wer es schreibt und welche persönlichen Geschichten der/die Autor*in mitbringt. Wichtig ist, die vielen verschieden Perspektiven, aus denen die Gesellschaft besteht, sichtbar zu machen. All das hat ein Potential, das genutzt werden muss. Ich würde mir auch wünschen, wegzukommen von Erinnerung als einzig das, was vergangen ist, auch wenn wir darauf trainiert sind, chronologisch und linear zu denken und zu erzählen. In der Gedächtnis- und Traumaforschung gibt es interessante Ergebnisse: Unser Gehirn funktioniert nicht wie ein Buch, in dem wir zurückblättern und uns immer wieder an das Gleiche erinnern. Stattdessen schreibt das Gehirn unsere Erinnerungen weiter, womit sie sich auch verändern können. Wir lernen aus unseren Erfahrungen, bearbeiten unsere Erinnerungen und finden neue Bezüge dazu. Ich würde mir wünschen, dass viele Dinge nicht getrennt voneinander stehen, sondern in Beziehungen zueinander gesetzt werden und wir aktiv daran arbeiten. Sodass wir zum Beispiel Erinnerung und Geschichte nicht als etwas konträres betrachten.“
Von Teresa Rauner, Studierende der Kunstgeschichte an der Ludwig-Maximilians-Universität München