
#TakeOver: Ein Kloster neben einer KZ-Gedenkstätte?
Andrea Büttner über das Karmel Dachau
In einem Hauptseminar der Ludwig-Maximilians-Universität München haben Master- und Bachelor-Studierende des Bereichs Kunstgeschichte den Entstehungsprozess der Wechselausstellung „Tell me about yesterday tomorrow“ intensiv begleitet. Sie setzten sich mit ausgewählten Kunstwerken auseinander, waren bei der Eröffnung am 27. November 2019 Ansprechpartner*innen für die Besucher*innen und haben mit einzelnen Künstler*innen Interviews geführt. Daraus sind nun Beiträge für den Blog zur Ausstellung entstanden.
Die Eröffnung der Ausstellung Tell me about yesterday tomorrow ist in vollem Gange und bei dem großen Andrang ist es zunächst nicht einfach, ein Gesicht auszumachen, das man nur von Bildern kennt. In dem Eröffnungstreiben beginnt mein Gespräch mitAndrea Büttner.
Besonders gut gefällt mir an Andrea Büttners Videoarbeit Karmel Dachau, dass sie zwischen Vergangenheit und Gegenwart vermittelt. Die Arbeit entstand 2019 und zeigt das Karmelitinnenkloster Heilig Blut, welches sich seit 1964 neben der KZ-Gedenkstätte Dachau befindet. Im Gespräch mit den Nonnen erfuhr Andrea Büttner viel über die Ansichten und Erfahrungen der Ordensschwestern. Der Karmilitinnenorden hatte den Ort neben der ehemaligen Gedenkstätte des Konzentrationslagers Dachau als Ordensniederlassung ausgesucht, einen Ort des Friedens zu kreieren. Außerdem soll so den in Dachau inhaftierten und ermordeten Kirchenmitgliedern gedacht werden.

Was hat Sie zu dieser Arbeit inspiriert? Wie sind Sie auf die Idee gekommen, diesen Ort zu thematisieren?
„Ich hatte schon sehr lange vor, zu diesem Frauenkloster neben der KZ-Gedenkstätte zu arbeiten. Schon für die documenta 2012 hatte ich die Idee und die Ausstellung im NS-Dokumentationszentrum München war eine Gelegenheit, sie zu verwirklichen. Aber ich habe auch eine persönliche Geschichte, die mich mit diesem Ort verbindet. Ich kenne den Ort seit meiner Kindheit und er war für mich immer ein wichtiger Ort. Und natürlich auch ein merkwürdiger Ort, zugleich sehr schön und verstörend. Das Kloster ist ein Ort, der zutiefst mit der Geschichte deutscher Erinnerungskultur zu tun hat und in dem sich die Geschichte dieser Erinnerungskultur auch zeigt. Da die Nonnen seit den 1960er Jahren dort sind, lagerten sich im Kloster verschiedene Geschichten aus verschiedenen Dekaden ab, zum Beispiel wie man über den Nationalsozialismus gedacht und gesprochen hat. So kommt im Video auch ein typisch deutsches Phänomen der Opferverdrehung vor.“

Das NS-Dokumentationszentrum unterscheidet sich aufgrund seiner Thematik, dem Ort und der Architektur von herkömmlichen Ausstellungsräumen. Besonders Kunstmuseen bilden in ihrer ästhetischen/optischen Neutralität als ͵White Cube‘ eine Art Schutzraum für die Objekte, ein Aspekt, welcher im NS-Dokumentationzentrum wegfällt. Sehen Sie das als Störfaktor oder eher als gegenseitige Ergänzung? In welchem Verhältnis sehen Sie Ihr Werk zur Dauerausstellung?
„Ich finde es interessant, zu fragen, was dieser Kontext ausmacht. Das ist zum einen, dass es jeweils ein anderes Publikum erschließt, sowohl für die Kunst- als auch für die historische Ausstellung. Aber es ändert zum anderen auch die Kunst, und es ändert auch die historische Ausstellung. Das ist der Punkt, wo ich mich frage, wie es die historische Ausstellung ändert und wie ich das eigentlich finde.“

Eine letzte Frage, was möchten Sie mit Ihrer Kunst bewirken und an welches Publikum richtet sie sich?
„Der Ausgangspunkt, warum ich mich mit einem Thema auseinandersetze, ist dass ich etwas herausfinden und klarer sehen möchte. Anschließend können andere an diesem Prozess teilhaben. Es ist nicht so, dass von vornherein eine Wirkungsabsicht da ist, überhaupt nicht. Was mich interessiert und zu einem Werk motiviert, ist immer etwas sehr Spezifisches. Kunst ist überhaupt etwas sehr Spezifisches. An ein bestimmtes Publikum richtet sich meine Kunst jedoch nicht. Sie ist für alle da.“
Das Gespräch mit Andrea Büttner habe ich als sehr bereichernd empfunden. In ihrer Videoarbeit spielt das Verhältnis von Verdrängen und Erinnern eine wichtige Rolle, ebenso wie die Frage, wie in der heutigen Zeit mit dieser Erinnerung umgegangen wird. Diese Thematik führt wiederum zum NS-Dokumentationszentrum, das einen passenden Ort für die Ausstellung der Videoarbeit darstellt.
Andrea Büttner vergleicht das künstlerische Schaffen mit dem Verfassen eines wissenschaftlichen Textes und stellt damit eine Analogie her, die sich auch in Tell me about yesterday tomorrow als Ergänzung zur Dauerausstellung des NS-Dokumentationszentrum widerspiegelt.
Von Isabel Sophie Oberländer, Studierende der Kunstgeschichte an der Ludwig-Maximilians-Universität München
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#TakeOver: Ein Kloster neben einer KZ-Gedenkstätte?
Andrea Büttner über das Karmel Dachau
In einem Hauptseminar der Ludwig-Maximilians-Universität München haben Master- und Bachelor-Studierende des Bereichs Kunstgeschichte den Entstehungsprozess der Wechselausstellung „Tell me about yesterday tomorrow“ intensiv begleitet. Sie setzten sich mit ausgewählten Kunstwerken auseinander, waren bei der Eröffnung am 27. November 2019 Ansprechpartner*innen für die Besucher*innen und haben mit einzelnen Künstler*innen Interviews geführt. Daraus sind nun Beiträge für den Blog zur Ausstellung entstanden.
Die Eröffnung der Ausstellung Tell me about yesterday tomorrow ist in vollem Gange und bei dem großen Andrang ist es zunächst nicht einfach, ein Gesicht auszumachen, das man nur von Bildern kennt. In dem Eröffnungstreiben beginnt mein Gespräch mitAndrea Büttner.
Besonders gut gefällt mir an Andrea Büttners Videoarbeit Karmel Dachau, dass sie zwischen Vergangenheit und Gegenwart vermittelt. Die Arbeit entstand 2019 und zeigt das Karmelitinnenkloster Heilig Blut, welches sich seit 1964 neben der KZ-Gedenkstätte Dachau befindet. Im Gespräch mit den Nonnen erfuhr Andrea Büttner viel über die Ansichten und Erfahrungen der Ordensschwestern. Der Karmilitinnenorden hatte den Ort neben der ehemaligen Gedenkstätte des Konzentrationslagers Dachau als Ordensniederlassung ausgesucht, einen Ort des Friedens zu kreieren. Außerdem soll so den in Dachau inhaftierten und ermordeten Kirchenmitgliedern gedacht werden.

Was hat Sie zu dieser Arbeit inspiriert? Wie sind Sie auf die Idee gekommen, diesen Ort zu thematisieren?
„Ich hatte schon sehr lange vor, zu diesem Frauenkloster neben der KZ-Gedenkstätte zu arbeiten. Schon für die documenta 2012 hatte ich die Idee und die Ausstellung im NS-Dokumentationszentrum München war eine Gelegenheit, sie zu verwirklichen. Aber ich habe auch eine persönliche Geschichte, die mich mit diesem Ort verbindet. Ich kenne den Ort seit meiner Kindheit und er war für mich immer ein wichtiger Ort. Und natürlich auch ein merkwürdiger Ort, zugleich sehr schön und verstörend. Das Kloster ist ein Ort, der zutiefst mit der Geschichte deutscher Erinnerungskultur zu tun hat und in dem sich die Geschichte dieser Erinnerungskultur auch zeigt. Da die Nonnen seit den 1960er Jahren dort sind, lagerten sich im Kloster verschiedene Geschichten aus verschiedenen Dekaden ab, zum Beispiel wie man über den Nationalsozialismus gedacht und gesprochen hat. So kommt im Video auch ein typisch deutsches Phänomen der Opferverdrehung vor.“

Das NS-Dokumentationszentrum unterscheidet sich aufgrund seiner Thematik, dem Ort und der Architektur von herkömmlichen Ausstellungsräumen. Besonders Kunstmuseen bilden in ihrer ästhetischen/optischen Neutralität als ͵White Cube‘ eine Art Schutzraum für die Objekte, ein Aspekt, welcher im NS-Dokumentationzentrum wegfällt. Sehen Sie das als Störfaktor oder eher als gegenseitige Ergänzung? In welchem Verhältnis sehen Sie Ihr Werk zur Dauerausstellung?
„Ich finde es interessant, zu fragen, was dieser Kontext ausmacht. Das ist zum einen, dass es jeweils ein anderes Publikum erschließt, sowohl für die Kunst- als auch für die historische Ausstellung. Aber es ändert zum anderen auch die Kunst, und es ändert auch die historische Ausstellung. Das ist der Punkt, wo ich mich frage, wie es die historische Ausstellung ändert und wie ich das eigentlich finde.“

Eine letzte Frage, was möchten Sie mit Ihrer Kunst bewirken und an welches Publikum richtet sie sich?
„Der Ausgangspunkt, warum ich mich mit einem Thema auseinandersetze, ist dass ich etwas herausfinden und klarer sehen möchte. Anschließend können andere an diesem Prozess teilhaben. Es ist nicht so, dass von vornherein eine Wirkungsabsicht da ist, überhaupt nicht. Was mich interessiert und zu einem Werk motiviert, ist immer etwas sehr Spezifisches. Kunst ist überhaupt etwas sehr Spezifisches. An ein bestimmtes Publikum richtet sich meine Kunst jedoch nicht. Sie ist für alle da.“
Das Gespräch mit Andrea Büttner habe ich als sehr bereichernd empfunden. In ihrer Videoarbeit spielt das Verhältnis von Verdrängen und Erinnern eine wichtige Rolle, ebenso wie die Frage, wie in der heutigen Zeit mit dieser Erinnerung umgegangen wird. Diese Thematik führt wiederum zum NS-Dokumentationszentrum, das einen passenden Ort für die Ausstellung der Videoarbeit darstellt.
Andrea Büttner vergleicht das künstlerische Schaffen mit dem Verfassen eines wissenschaftlichen Textes und stellt damit eine Analogie her, die sich auch in Tell me about yesterday tomorrow als Ergänzung zur Dauerausstellung des NS-Dokumentationszentrum widerspiegelt.
Von Isabel Sophie Oberländer, Studierende der Kunstgeschichte an der Ludwig-Maximilians-Universität München