
#TakeOver: „Die haben alle einen Rückzieher gemacht.“
Gregor Schneider über das Geburtshaus Joseph Goebbels und die kollektive Verantwortung
In einem Hauptseminar der Ludwig-Maximilians-Universität München haben Master- und Bachelor-Studierende des Bereichs Kunstgeschichte den Entstehungsprozess der Wechselausstellung „Tell me about yesterday tomorrow“ intensiv begleitet. Sie setzten sich mit ausgewählten Kunstwerken auseinander, waren bei der Eröffnung am 27. November 2019 Ansprechpartner*innen für die Besucher*innen und haben mit einzelnen Künstler*innen Interviews geführt. Daraus sind nun Beiträge für den Blog zur Ausstellung entstanden.
„Ich würde mir wünschen, dass alle für solche Häuser Verantwortung übernehmen.“ sagt Gregor Schneider, in dem Interview, das ich mit ihm am Abend der Ausstellungseröffnung von Tell me about yesterday tomorrow führte.
„Solche Häuser“, das sind jene, wie die des ehemaligen Reichsministers für Volksaufklärung und Propaganda und engem Verbündeten Adolf Hitlers. Häuser, wie das Geburtshaus Joseph Goebbels in Mönchengladbach-Rheydt. Die Stadt, die 1933 durch Goebbels für eigenständig erklärt wurde, ist heute vielleicht nur noch als Stadt mit zwei Hauptbahnhöfen bekannt. Dass hier das Geburtshaus eines der treibenden Kräfte des nationalsozialistischen Völkermords geradezu unkommentiert steht, entsetzt und überrascht zugleich. Der ebenfalls aus Rheydt stammende Künstler Gregor Schneider (*1969) erwarb das Haus im Jahr 2014, zog zunächst selbst dort ein, bewohnte es für einen kurzen Zeitraum, entkernte es und belässt es bis heute in diesem, von innen anonymisierten Zustand. Den künstlerischen Prozess beschreibt er als „eine total unfreie Situation. Ich wollte mich auch eigentlich gar nicht mit dem Thema beschäftigen. Ich fand, das Thema war eigentlich durch. Nur wenn es dann in der unmittelbaren Nachbarschaft ist, ist das noch einmal etwas anderes“.

Im Kontext der Ausstellung Tell me about yesterday tomorrow ist seine Arbeit unter dem Titel Suppe auslöffeln, Geburtshaus Goebbels, Odenkirchener Str. 202, erstmals in einem deutschen Museum zu sehen. Was ist der „ideale Ort“ für ein solches Werk? Wie verhält sich die Arbeit im Kontext der Dauerausstellung des NS-Dokumentationszentrums? „Ich finde es super, dass man es einfach mal zeigt und die Informationen bereitstellt.“, erklärt Gregor Schneider. „Hier können wir darüber sprechen, dass sich die Geschichte Goebbels in dieses Haus eingeschrieben hat. Das ist unter anderem eine Information, die komplett untergegangen ist. Ich hätte es mir auch breiter in Museen vorstellen können. Es gab zwar viele Interessierte, aber die haben alle einen Rückzieher gemacht.“ Die ausgestellte Arbeit beinhaltet neben einigen Objekten der ehemaligen Besitzer*innen auch architektonische Überbleibsel des Hauses selbst. Metaphorisch ist dabei die Videoarbeit, die den Künstler selbst beim Suppe auslöffeln zeigt. Aber wer löffelt denn hier wessen Suppe aus? Muss die Kunst Stellung beziehen, wenn die Stadtpolitik versagt?

Nun wird diese kontroverse Arbeit in München und damit in der einstigen Hauptstadt der Bewegung gezeigt. Das NS-Dokumentationszentrum präsentiert somit ein Werk, für das – wie der Künstler selbst sagt – „niemand die Verantwortung übernimmt.“ Auch wenn die Stadt Rheydt nach wie vor keine Stellung bezieht, so zeigt Schneiders Arbeit doch ihre Wirkung: Blumen zum Todestags Goebbels legt an diesem Ort keiner mehr nieder.
Von Antonia Kazmierczak, Studierende der Kunstgeschichte an der Ludwig-Maximilians-Universität München
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#TakeOver: „Die haben alle einen Rückzieher gemacht.“
Gregor Schneider über das Geburtshaus Joseph Goebbels und die kollektive Verantwortung
In einem Hauptseminar der Ludwig-Maximilians-Universität München haben Master- und Bachelor-Studierende des Bereichs Kunstgeschichte den Entstehungsprozess der Wechselausstellung „Tell me about yesterday tomorrow“ intensiv begleitet. Sie setzten sich mit ausgewählten Kunstwerken auseinander, waren bei der Eröffnung am 27. November 2019 Ansprechpartner*innen für die Besucher*innen und haben mit einzelnen Künstler*innen Interviews geführt. Daraus sind nun Beiträge für den Blog zur Ausstellung entstanden.
„Ich würde mir wünschen, dass alle für solche Häuser Verantwortung übernehmen.“ sagt Gregor Schneider, in dem Interview, das ich mit ihm am Abend der Ausstellungseröffnung von Tell me about yesterday tomorrow führte.
„Solche Häuser“, das sind jene, wie die des ehemaligen Reichsministers für Volksaufklärung und Propaganda und engem Verbündeten Adolf Hitlers. Häuser, wie das Geburtshaus Joseph Goebbels in Mönchengladbach-Rheydt. Die Stadt, die 1933 durch Goebbels für eigenständig erklärt wurde, ist heute vielleicht nur noch als Stadt mit zwei Hauptbahnhöfen bekannt. Dass hier das Geburtshaus eines der treibenden Kräfte des nationalsozialistischen Völkermords geradezu unkommentiert steht, entsetzt und überrascht zugleich. Der ebenfalls aus Rheydt stammende Künstler Gregor Schneider (*1969) erwarb das Haus im Jahr 2014, zog zunächst selbst dort ein, bewohnte es für einen kurzen Zeitraum, entkernte es und belässt es bis heute in diesem, von innen anonymisierten Zustand. Den künstlerischen Prozess beschreibt er als „eine total unfreie Situation. Ich wollte mich auch eigentlich gar nicht mit dem Thema beschäftigen. Ich fand, das Thema war eigentlich durch. Nur wenn es dann in der unmittelbaren Nachbarschaft ist, ist das noch einmal etwas anderes“.

Im Kontext der Ausstellung Tell me about yesterday tomorrow ist seine Arbeit unter dem Titel Suppe auslöffeln, Geburtshaus Goebbels, Odenkirchener Str. 202, erstmals in einem deutschen Museum zu sehen. Was ist der „ideale Ort“ für ein solches Werk? Wie verhält sich die Arbeit im Kontext der Dauerausstellung des NS-Dokumentationszentrums? „Ich finde es super, dass man es einfach mal zeigt und die Informationen bereitstellt.“, erklärt Gregor Schneider. „Hier können wir darüber sprechen, dass sich die Geschichte Goebbels in dieses Haus eingeschrieben hat. Das ist unter anderem eine Information, die komplett untergegangen ist. Ich hätte es mir auch breiter in Museen vorstellen können. Es gab zwar viele Interessierte, aber die haben alle einen Rückzieher gemacht.“ Die ausgestellte Arbeit beinhaltet neben einigen Objekten der ehemaligen Besitzer*innen auch architektonische Überbleibsel des Hauses selbst. Metaphorisch ist dabei die Videoarbeit, die den Künstler selbst beim Suppe auslöffeln zeigt. Aber wer löffelt denn hier wessen Suppe aus? Muss die Kunst Stellung beziehen, wenn die Stadtpolitik versagt?

Nun wird diese kontroverse Arbeit in München und damit in der einstigen Hauptstadt der Bewegung gezeigt. Das NS-Dokumentationszentrum präsentiert somit ein Werk, für das – wie der Künstler selbst sagt – „niemand die Verantwortung übernimmt.“ Auch wenn die Stadt Rheydt nach wie vor keine Stellung bezieht, so zeigt Schneiders Arbeit doch ihre Wirkung: Blumen zum Todestags Goebbels legt an diesem Ort keiner mehr nieder.
Von Antonia Kazmierczak, Studierende der Kunstgeschichte an der Ludwig-Maximilians-Universität München