
Der „mysteriöse Maler“: Artur (Stefan) Nacht-Samborski
Ein in vieler Hinsicht „mysteriöser Maler“ sei Artur Nacht-Samborski, urteilt die polnische Kunsthistorikerin Małgorzata Kitowska-Łysiak. Einer, der trotz seiner zweifelsfrei herausragenden Kunst unterschätzt geblieben sei. Seine Kunst widersetze sich Definitionen, sei schwierig mit Worten zu beschreiben und bleibe jenseits aller Ismen von einer standhaften Unabhängigkeit gekennzeichnet.(1)
Um an den in Deutschland relativ unbekannten Maler und Holocaust-Überlebenden Artur Nacht-Samborski zu erinnern, zeigt das NS-Dokumentationszentrum München in der Ausstellung Tell me about yesterday tomorrow zwei seiner Stillleben: Martwa Natura z Kwiatami w Wazonie (1950) und Martwa Natura (undatiert). Nicht nur sein umfangreiches Werk ist eine Entdeckung wert, auch sein bewegtes, vor dem Hintergrund der nationalsozialistischen Judenverfolgung zeitweise dramatisch verlaufendes Leben spiegelt eindrucksvoll die Geschichte des 20. Jahrhunderts.
Jugend und Ausbildung
Artur Nacht wurde am 26. Mai 1898 in Krakau geboren. Sein Vater war ein wohlhabender Textilhändler, die Familie jüdisch-religiös, aber gleichzeitig assimiliert. Artur und seine drei Geschwister besuchten polnische Schulen und hatten polnische Freunde.
Von 1917 bis 1919 und von 1923 bis 1924 studierte Artur Nacht an der Kunsthochschule Krakau. In seiner Freizeit betätigte er sich unter anderem als Amateurboxer. Von 1919 bis 1923 hielt er sich in Berlin auf. Über diese Zeit ist wenig bekannt, außer dass er sich in Expressionisten- und Dadaisten-Kreisen bewegte. Obwohl er damals sehr viel malte, sind nur wenige Werke aus diesen Jahren überliefert. Darunter einige Skizzen, die an George Grosz oder Ernst Ludwig Kirchner angelehnt scheinen.
Frankreich
Nach seiner Rückkehr aus Berlin 1923 freundete sich Nacht in Krakau mit Künstler*innen an, die eine informelle Gruppe namens Pariser Komitee (Komitet Paryski) um den Hochschulprofessor Józef Pankiewicz bildeten. Die Gruppe interessierte sich vor allem für den französischen Impressionismus und Post-Impressionismus. Anfang September 1924 reiste Nacht mit Mitgliedern dieser Gruppe nach Paris.
1925 wurde eine Zweigstelle der Krakauer Akademie in Paris eingerichtet, die Pankiewicz bis 1937 leitete. Die Gruppenmitglieder waren nicht an der Akademie eingeschrieben, sondern Privatschüler Pankiewicz‘, die teilweise auch an Akademiekursen teilnahmen. Künstlerisch orientierte sich die Gruppe an der neuen französischen Malerei. Sie strebte eine Änderung des Kunstverständnisses in Polen an: Eine Aufwertung der Malerei an sich durch ihre Unabhängigkeit von politischen und gesellschaftlichen Kontexten. In den Bildern dieser „Polnischer Kolorismus“ oder „Kapismus“ genannten Stilrichtung dominierten einfache und neutrale Sujets wie Landschaften, Interieurs und Stillleben. Die Farbe war das wichtigste Gestaltungsmittel der Koloristen. Sie diente dazu, den Motiven ihre Form zu geben und Stimmungen auszudrücken.
Bereits in Paris lebende polnische Künstler*innen führten die neu ankommenden Mitglieder des Komitet Paryski in die dortigen Künstlerkreise ein. Artur Nacht lebte von finanziellen Zuwendungen seines Vaters und von kleinen Gelegenheitsarbeiten. Er malte viel, beteiligte sich aber auch aktiv am Leben der polnischen Gemeinde in Paris. So organisierte er 1925 Wohltätigkeitsbälle und nahm 1929 an einem Wettbewerb der Gesellschaft Polnischer Künstler in Paris teil, bei dem er einen der fünf Preise gewann. 1930 und 1931 stellte er mit polnischen Kolleg*innen in Paris und Genf aus. Sein Malstil war in dieser Zeit stark vom Expressionismus geprägt mit nur geringen post-impressionistischen Anklängen. Gegen Ende der 1920er Jahre zeigten seine Bilder insbesondere Ähnlichkeiten mit der Kunst von Georges Rouault. Die Sommermonate verbrachte die Gruppe häufig in La Ciotat in der Provence. Nachts dort entstandenen Landschaftsgemälde haben nur noch geringe Nähe zu den Kapisten, vielmehr sind kubistische und fauvistische Einflüsse unverkennbar.
Um die Mitte der Dreißiger Jahre begann sich Artur Nachts Stil zu verändern. So zeigen etwa die während eines Spanienaufenthalts 1934 entstandenen Werken merklich hellere Farbtöne. Im Januar 1939 kehrte er nach Krakau zurück, viel später als seine Gruppenkolleg*innen, und bezog eine Wohnung in der Nähe seiner Eltern.
Lemberg
Am 1. September 1939 überfielen Deutsche Truppen Polen und besetzten fünf Tage später Krakau. Die Familie Nacht verließ die Stadt kurz bevor diese eingenommen wurde und siedelte ins ostpolnische Lwow (Lemberg) über. Lwow war nach dem Abschluss des Hitler-Stalin Pakts von den Sowjets besetzt worden. Nacht kontaktierte die dort lebenden Künstler*innen Marian Wnuk und dessen Ehefrau Józefa sowie Stanisław Teisseyre. Er passte sich schnell an das Leben unter den neuen Machthabern an. Ende 1939/Anfang 1940 beteiligte er sich mit zwei neuen Stillleben an der großen Wanderausstellung Die Kunst der Westukraine und die Hutsul-Nation, die in Moskau, Kiew und Charkow Station machte. Seinen Lebensunterhalt verdiente er unter anderem mit dem Malen von Propagandaplakaten und Großporträts von Sowjetführern.
Er war allerdings nicht bereit, seine Kunstauffassung aufzugeben und sich dem in der Sowjetunion vorherrschenden und staatlich propagierten Stil des Sozialistischen Realismus anzupassen. Bei einem Künstler*innentreffen in Moskau ergriff der ansonsten eher zurückhaltende Nacht nach Angaben von Teisseyre das Wort und bekannte sich zum Einfluss der französischen Kunst des 20. Jahrhunderts auf sein Werk. Diese habe die Kunst in ganz Europa nachhaltig beeinflusst, ähnlich wie dies bei der Kunst der italienischen Renaissance im 16. Jahrhundert der Fall gewesen sei: „Jetzt im 20. Jahrhundert ist die französische Kunst die führende Kunst der Zeit. Alles was ich ihnen zu sagen habe, meine sowjetischen Kollegen, ist, dass ich ihre zeitgenössische Malerei gesehen habe, die Ausstellung, in die sie uns geführt haben. Seien sie mir nicht beleidigt, aber das ist deutsche Kunst aus der Mitte des 19. Jahrhunderts“.(2)

Warschau – Leben unter deutscher Besatzung
Die bis dahin recht stabile finanzielle Lage der Familie Nacht verschlechterte sich rapide nach dem deutschen Angriff auf die Sowjetunion und der Besetzung Lwows durch deutsche Truppen Ende Juni 1941. Nachts Mutter war kurz zuvor gestorben. Der Ort und das ehemals polnische Ostgalizien wurden als Distrikt Lemberg dem Generalgouvernement angeschlossen. Schon in den ersten Tagen der Besatzung wurden rund 4000 Personen, darunter viele jüdischer Herkunft, in der Stadt erschossen. Die deutschen Besatzer errichteten ein Lager für Zwangsarbeiter*innen und im November einen abgesperrten „jüdischen Wohnbezirk“ (Ghetto), in den auch die Familie Nacht umziehen musste. Anders als seine Familienangehörigen zog Artur Nacht jedoch nicht ins Ghetto, sondern tauchte unter.
Anfang 1942 floh Artur Nacht aus Lemberg, zunächst nach Krakau und wenig später nach Warschau. Die befreundeten Künstler*innen Józefa und Marian Wnuk sowie Jadwiga und Janusz Strałecki unterstützen ihn dabei, sich eine falsche nicht-jüdische Identität unter dem Namen Stefan Ignacy Samborski aufzubauen. Dies geschah zunächst durch Beschaffung einer gefälschten Kennkarte, später in Warschau durch eine von einem Priester ausgestellte Geburtsurkunde und eine Bescheinigung, die ihn als Mitglied der Warschauer Zweigstelle der Vereinigung Polnischer Graphischer Künstler auswies. Mit Hilfe seiner Freunde gelang es auch, Artur Nachts Vater und seine Geschwister Marek und Stefania aus dem Ghetto Lemberg zu befreien. Sie überlebten den Zweiten Weltkrieg und die Shoah in Verstecken in Warschau. Seine zweite Schwester Róża und deren Ehemann wurden jedoch 1942 bei einer der zahlreichen Razzien und Deportationsaktionen im Ghetto ermordet.
Da Artur Nacht nicht das in den Augen der Nationalsozialisten als „typisch jüdisch“ geltende Aussehen hatte, konnte er sich in der Stadt recht frei bewegen. Er versuchte, ein soweit es ging „normales“ Leben zu führen. Er besuchte Cafés, traf sich mit Freunden und ihm bekannten Künstler*innen. Auch malte er weiterhin, vor allem Blumen und Stillleben, und knüpfte dabei an seine Arbeiten aus der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg an. Einflüsse des Kriegs und der dramatischen Realität in Polen zu dieser Zeit sind in diesen Bildern nicht zu erkennen. Mehrere seiner Arbeiten wurden Anfang 1944 in einer Ausstellung kapistischer Künstler in Warschau gezeigt. Während des Warschauer Aufstands im Sommer 1944 fand Nacht Unterschlupf in der Villa eines befreundeten Künstlers und konnte sich dort bis zum Einmarsch der sowjetischen Truppen im Januar 1945 verbergen. Mehrere seiner Freunde und Bekannten jedoch wurden im Zuge der gewaltsamen, brutalen Niederschlagung des Aufstands, die rund 200.000 Zivilisten das Leben kostete und weite Teile der Stadt verwüstete, verhaftet.
Nach dem Krieg
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs entschied sich Nacht dafür, seine beiden Identitäten – die eigentliche, jüdische und die zum Schutz angenommene, polnische – zu verschmelzen. Fortan benutzte er den Doppelnamen Nacht-Samborski, ab 1956 auch offiziell. 1946 erhielt er eine Vertragsprofessur an der Höheren Schule für Bildende Künste in Gdansk (Danzig). Diesen Lehrauftrag hatte ihm sein Freund Jan Strałecki, der die Schule leitete, verschafft. Eine reguläre Professur war zunächst nicht möglich, da Nacht sein Studium nie abgeschlossen hatte. In diesen Jahren wohnte er im nahegelegen Sopot.
1949 wurde er auf eine befristete Professur an der Kunstakademie in Warschau berufen, die dann 1950 in eine dauerhafte außerplanmäßige Professur umgewandelt wurde. In diesem Jahr emigrierten sein Vater und seine Schwester nach Israel, aus seiner engeren Familie blieb nur sein Bruder in Polen. Kurz darauf erlebte Nacht-Samborski einen beruflichen Rückschlag. Nachdem die Polnischen Kommunisten unter Einfluss der Sowjetunion den Sozialistischen Realismus als nationale Kunstdoktrin einführten, war seine am Kolorismus orientierte Malerei an der Hochschule nicht mehr erwünscht. Nacht-Samborski wurde am 31. August 1951 zwangsweise pensioniert. Schon 1952 wurde dieser strikte kunstpolitische Kurs in Polen aber wieder gelockert und Nacht-Samborski konnte im September des Jahres auf einer Vertragsprofessur an die Warschauer Akademie zurückkehren.
Nach dem Tod Stalins 1953 verlor der Sozialistische Realismus weiter an Bedeutung. 1955 verlieh das Ministerium für Kunst und Kultur Nacht-Samborski ein Diplom in Malerei und berief ihn auf eine ordentliche Akademieprofessur, die er bis 1968 inne hatte. In diesem Jahr zwang ihn das Ministerium in Pension zu gehen. Zwar hatte er das entsprechende Alter bereits erreicht, jedoch hatten sowohl er als auch seine Fakultät einen weiteren Verbleib im Amt für drei Jahre angestrebt. Im Hintergrund seiner Pensionierung stand eine im März 1968 von der Kommunistischen Partei durchgeführte antisemitische Kampagne, in deren Verlauf zahlreiche Personen jüdischer Herkunft ihre Ämter und Posten verloren. Die folgenden Jahre lebte er eher zurückgezogen in Warschau, wo er am 9. Oktober 1974 verstarb.

Auch nach 1945 malte Artur Nacht-Samborski vor allem Stillleben, Frauenporträts und Akte. Sein Stil blieb am Kolorismus orientiert, nahm seit den 1950er-Jahren aber wieder vermehrt Elemente des Expressionismus und auch neuer Kunstrichtungen wie des Informel auf. Gerade die Kontinuitäten in seiner Malerei können als Ausdruck der Verdrängung der schrecklichen Kriegsereignisse interpretiert werden. Direkte Bezüge zur Shoah und zu seinen Erfahrungen unter deutscher Besatzung finden sich im Werk kaum. Seine Porträts trugen nach dem Krieg allerdings häufig stark maskenhafte Züge. Dies deutet auf eine Auseinandersetzung mit dem Thema Identitätskonstruktion hin, das auch für sein persönliches Leben entscheidend war.
Außerhalb Polens und insbesondere im Westen waren seine Werke in der Nachkriegszeit eher selten zu sehen. 1958 wurden einige seiner Bilder auf der Biennale in Venedig gezeigt. Größere Einzelausstellungen seiner Werke lehnte der Künstler ab. Eine erste Einzelausstellung fand deshalb erst posthum 1977 im Nationalmuseum in Warschau statt. Eine weitere folgte 1999 im Nationalmuseum Posen und in der Warschauer Nationalen Kunstgalerie Zachęta.
Von Andreas Eichmüller, wissenschaftlicher Mitarbeiter des NS-Dokumentationszentrums München
Quellen
(1) https://culture.pl/en/artist/stefan-artur-nacht-samborski; 20.8.2020.
(2) Zitiert nach Maria Zientara: Artur Nacht-Samborski, in: Dies.: Holocaust Survivors. Jonasz Stern, Erna Rosenstein, Artur Nacht-Samborski, (Exhibition Catalogue Historical Museum of the City of Krakow, Oskar Schindler‘s Enamel Factory, 8 November 2012 – 7 April 2013), Krakow 2012, p. 94-118, 101 [Übersetzung durch den Autor].
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Der „mysteriöse Maler“: Artur (Stefan) Nacht-Samborski
Ein in vieler Hinsicht „mysteriöser Maler“ sei Artur Nacht-Samborski, urteilt die polnische Kunsthistorikerin Małgorzata Kitowska-Łysiak. Einer, der trotz seiner zweifelsfrei herausragenden Kunst unterschätzt geblieben sei. Seine Kunst widersetze sich Definitionen, sei schwierig mit Worten zu beschreiben und bleibe jenseits aller Ismen von einer standhaften Unabhängigkeit gekennzeichnet.(1)
Um an den in Deutschland relativ unbekannten Maler und Holocaust-Überlebenden Artur Nacht-Samborski zu erinnern, zeigt das NS-Dokumentationszentrum München in der Ausstellung Tell me about yesterday tomorrow zwei seiner Stillleben: Martwa Natura z Kwiatami w Wazonie (1950) und Martwa Natura (undatiert). Nicht nur sein umfangreiches Werk ist eine Entdeckung wert, auch sein bewegtes, vor dem Hintergrund der nationalsozialistischen Judenverfolgung zeitweise dramatisch verlaufendes Leben spiegelt eindrucksvoll die Geschichte des 20. Jahrhunderts.
Jugend und Ausbildung
Artur Nacht wurde am 26. Mai 1898 in Krakau geboren. Sein Vater war ein wohlhabender Textilhändler, die Familie jüdisch-religiös, aber gleichzeitig assimiliert. Artur und seine drei Geschwister besuchten polnische Schulen und hatten polnische Freunde.
Von 1917 bis 1919 und von 1923 bis 1924 studierte Artur Nacht an der Kunsthochschule Krakau. In seiner Freizeit betätigte er sich unter anderem als Amateurboxer. Von 1919 bis 1923 hielt er sich in Berlin auf. Über diese Zeit ist wenig bekannt, außer dass er sich in Expressionisten- und Dadaisten-Kreisen bewegte. Obwohl er damals sehr viel malte, sind nur wenige Werke aus diesen Jahren überliefert. Darunter einige Skizzen, die an George Grosz oder Ernst Ludwig Kirchner angelehnt scheinen.
Frankreich
Nach seiner Rückkehr aus Berlin 1923 freundete sich Nacht in Krakau mit Künstler*innen an, die eine informelle Gruppe namens Pariser Komitee (Komitet Paryski) um den Hochschulprofessor Józef Pankiewicz bildeten. Die Gruppe interessierte sich vor allem für den französischen Impressionismus und Post-Impressionismus. Anfang September 1924 reiste Nacht mit Mitgliedern dieser Gruppe nach Paris.
1925 wurde eine Zweigstelle der Krakauer Akademie in Paris eingerichtet, die Pankiewicz bis 1937 leitete. Die Gruppenmitglieder waren nicht an der Akademie eingeschrieben, sondern Privatschüler Pankiewicz‘, die teilweise auch an Akademiekursen teilnahmen. Künstlerisch orientierte sich die Gruppe an der neuen französischen Malerei. Sie strebte eine Änderung des Kunstverständnisses in Polen an: Eine Aufwertung der Malerei an sich durch ihre Unabhängigkeit von politischen und gesellschaftlichen Kontexten. In den Bildern dieser „Polnischer Kolorismus“ oder „Kapismus“ genannten Stilrichtung dominierten einfache und neutrale Sujets wie Landschaften, Interieurs und Stillleben. Die Farbe war das wichtigste Gestaltungsmittel der Koloristen. Sie diente dazu, den Motiven ihre Form zu geben und Stimmungen auszudrücken.
Bereits in Paris lebende polnische Künstler*innen führten die neu ankommenden Mitglieder des Komitet Paryski in die dortigen Künstlerkreise ein. Artur Nacht lebte von finanziellen Zuwendungen seines Vaters und von kleinen Gelegenheitsarbeiten. Er malte viel, beteiligte sich aber auch aktiv am Leben der polnischen Gemeinde in Paris. So organisierte er 1925 Wohltätigkeitsbälle und nahm 1929 an einem Wettbewerb der Gesellschaft Polnischer Künstler in Paris teil, bei dem er einen der fünf Preise gewann. 1930 und 1931 stellte er mit polnischen Kolleg*innen in Paris und Genf aus. Sein Malstil war in dieser Zeit stark vom Expressionismus geprägt mit nur geringen post-impressionistischen Anklängen. Gegen Ende der 1920er Jahre zeigten seine Bilder insbesondere Ähnlichkeiten mit der Kunst von Georges Rouault. Die Sommermonate verbrachte die Gruppe häufig in La Ciotat in der Provence. Nachts dort entstandenen Landschaftsgemälde haben nur noch geringe Nähe zu den Kapisten, vielmehr sind kubistische und fauvistische Einflüsse unverkennbar.
Um die Mitte der Dreißiger Jahre begann sich Artur Nachts Stil zu verändern. So zeigen etwa die während eines Spanienaufenthalts 1934 entstandenen Werken merklich hellere Farbtöne. Im Januar 1939 kehrte er nach Krakau zurück, viel später als seine Gruppenkolleg*innen, und bezog eine Wohnung in der Nähe seiner Eltern.
Lemberg
Am 1. September 1939 überfielen Deutsche Truppen Polen und besetzten fünf Tage später Krakau. Die Familie Nacht verließ die Stadt kurz bevor diese eingenommen wurde und siedelte ins ostpolnische Lwow (Lemberg) über. Lwow war nach dem Abschluss des Hitler-Stalin Pakts von den Sowjets besetzt worden. Nacht kontaktierte die dort lebenden Künstler*innen Marian Wnuk und dessen Ehefrau Józefa sowie Stanisław Teisseyre. Er passte sich schnell an das Leben unter den neuen Machthabern an. Ende 1939/Anfang 1940 beteiligte er sich mit zwei neuen Stillleben an der großen Wanderausstellung Die Kunst der Westukraine und die Hutsul-Nation, die in Moskau, Kiew und Charkow Station machte. Seinen Lebensunterhalt verdiente er unter anderem mit dem Malen von Propagandaplakaten und Großporträts von Sowjetführern.
Er war allerdings nicht bereit, seine Kunstauffassung aufzugeben und sich dem in der Sowjetunion vorherrschenden und staatlich propagierten Stil des Sozialistischen Realismus anzupassen. Bei einem Künstler*innentreffen in Moskau ergriff der ansonsten eher zurückhaltende Nacht nach Angaben von Teisseyre das Wort und bekannte sich zum Einfluss der französischen Kunst des 20. Jahrhunderts auf sein Werk. Diese habe die Kunst in ganz Europa nachhaltig beeinflusst, ähnlich wie dies bei der Kunst der italienischen Renaissance im 16. Jahrhundert der Fall gewesen sei: „Jetzt im 20. Jahrhundert ist die französische Kunst die führende Kunst der Zeit. Alles was ich ihnen zu sagen habe, meine sowjetischen Kollegen, ist, dass ich ihre zeitgenössische Malerei gesehen habe, die Ausstellung, in die sie uns geführt haben. Seien sie mir nicht beleidigt, aber das ist deutsche Kunst aus der Mitte des 19. Jahrhunderts“.(2)

Warschau – Leben unter deutscher Besatzung
Die bis dahin recht stabile finanzielle Lage der Familie Nacht verschlechterte sich rapide nach dem deutschen Angriff auf die Sowjetunion und der Besetzung Lwows durch deutsche Truppen Ende Juni 1941. Nachts Mutter war kurz zuvor gestorben. Der Ort und das ehemals polnische Ostgalizien wurden als Distrikt Lemberg dem Generalgouvernement angeschlossen. Schon in den ersten Tagen der Besatzung wurden rund 4000 Personen, darunter viele jüdischer Herkunft, in der Stadt erschossen. Die deutschen Besatzer errichteten ein Lager für Zwangsarbeiter*innen und im November einen abgesperrten „jüdischen Wohnbezirk“ (Ghetto), in den auch die Familie Nacht umziehen musste. Anders als seine Familienangehörigen zog Artur Nacht jedoch nicht ins Ghetto, sondern tauchte unter.
Anfang 1942 floh Artur Nacht aus Lemberg, zunächst nach Krakau und wenig später nach Warschau. Die befreundeten Künstler*innen Józefa und Marian Wnuk sowie Jadwiga und Janusz Strałecki unterstützen ihn dabei, sich eine falsche nicht-jüdische Identität unter dem Namen Stefan Ignacy Samborski aufzubauen. Dies geschah zunächst durch Beschaffung einer gefälschten Kennkarte, später in Warschau durch eine von einem Priester ausgestellte Geburtsurkunde und eine Bescheinigung, die ihn als Mitglied der Warschauer Zweigstelle der Vereinigung Polnischer Graphischer Künstler auswies. Mit Hilfe seiner Freunde gelang es auch, Artur Nachts Vater und seine Geschwister Marek und Stefania aus dem Ghetto Lemberg zu befreien. Sie überlebten den Zweiten Weltkrieg und die Shoah in Verstecken in Warschau. Seine zweite Schwester Róża und deren Ehemann wurden jedoch 1942 bei einer der zahlreichen Razzien und Deportationsaktionen im Ghetto ermordet.
Da Artur Nacht nicht das in den Augen der Nationalsozialisten als „typisch jüdisch“ geltende Aussehen hatte, konnte er sich in der Stadt recht frei bewegen. Er versuchte, ein soweit es ging „normales“ Leben zu führen. Er besuchte Cafés, traf sich mit Freunden und ihm bekannten Künstler*innen. Auch malte er weiterhin, vor allem Blumen und Stillleben, und knüpfte dabei an seine Arbeiten aus der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg an. Einflüsse des Kriegs und der dramatischen Realität in Polen zu dieser Zeit sind in diesen Bildern nicht zu erkennen. Mehrere seiner Arbeiten wurden Anfang 1944 in einer Ausstellung kapistischer Künstler in Warschau gezeigt. Während des Warschauer Aufstands im Sommer 1944 fand Nacht Unterschlupf in der Villa eines befreundeten Künstlers und konnte sich dort bis zum Einmarsch der sowjetischen Truppen im Januar 1945 verbergen. Mehrere seiner Freunde und Bekannten jedoch wurden im Zuge der gewaltsamen, brutalen Niederschlagung des Aufstands, die rund 200.000 Zivilisten das Leben kostete und weite Teile der Stadt verwüstete, verhaftet.
Nach dem Krieg
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs entschied sich Nacht dafür, seine beiden Identitäten – die eigentliche, jüdische und die zum Schutz angenommene, polnische – zu verschmelzen. Fortan benutzte er den Doppelnamen Nacht-Samborski, ab 1956 auch offiziell. 1946 erhielt er eine Vertragsprofessur an der Höheren Schule für Bildende Künste in Gdansk (Danzig). Diesen Lehrauftrag hatte ihm sein Freund Jan Strałecki, der die Schule leitete, verschafft. Eine reguläre Professur war zunächst nicht möglich, da Nacht sein Studium nie abgeschlossen hatte. In diesen Jahren wohnte er im nahegelegen Sopot.
1949 wurde er auf eine befristete Professur an der Kunstakademie in Warschau berufen, die dann 1950 in eine dauerhafte außerplanmäßige Professur umgewandelt wurde. In diesem Jahr emigrierten sein Vater und seine Schwester nach Israel, aus seiner engeren Familie blieb nur sein Bruder in Polen. Kurz darauf erlebte Nacht-Samborski einen beruflichen Rückschlag. Nachdem die Polnischen Kommunisten unter Einfluss der Sowjetunion den Sozialistischen Realismus als nationale Kunstdoktrin einführten, war seine am Kolorismus orientierte Malerei an der Hochschule nicht mehr erwünscht. Nacht-Samborski wurde am 31. August 1951 zwangsweise pensioniert. Schon 1952 wurde dieser strikte kunstpolitische Kurs in Polen aber wieder gelockert und Nacht-Samborski konnte im September des Jahres auf einer Vertragsprofessur an die Warschauer Akademie zurückkehren.
Nach dem Tod Stalins 1953 verlor der Sozialistische Realismus weiter an Bedeutung. 1955 verlieh das Ministerium für Kunst und Kultur Nacht-Samborski ein Diplom in Malerei und berief ihn auf eine ordentliche Akademieprofessur, die er bis 1968 inne hatte. In diesem Jahr zwang ihn das Ministerium in Pension zu gehen. Zwar hatte er das entsprechende Alter bereits erreicht, jedoch hatten sowohl er als auch seine Fakultät einen weiteren Verbleib im Amt für drei Jahre angestrebt. Im Hintergrund seiner Pensionierung stand eine im März 1968 von der Kommunistischen Partei durchgeführte antisemitische Kampagne, in deren Verlauf zahlreiche Personen jüdischer Herkunft ihre Ämter und Posten verloren. Die folgenden Jahre lebte er eher zurückgezogen in Warschau, wo er am 9. Oktober 1974 verstarb.

Auch nach 1945 malte Artur Nacht-Samborski vor allem Stillleben, Frauenporträts und Akte. Sein Stil blieb am Kolorismus orientiert, nahm seit den 1950er-Jahren aber wieder vermehrt Elemente des Expressionismus und auch neuer Kunstrichtungen wie des Informel auf. Gerade die Kontinuitäten in seiner Malerei können als Ausdruck der Verdrängung der schrecklichen Kriegsereignisse interpretiert werden. Direkte Bezüge zur Shoah und zu seinen Erfahrungen unter deutscher Besatzung finden sich im Werk kaum. Seine Porträts trugen nach dem Krieg allerdings häufig stark maskenhafte Züge. Dies deutet auf eine Auseinandersetzung mit dem Thema Identitätskonstruktion hin, das auch für sein persönliches Leben entscheidend war.
Außerhalb Polens und insbesondere im Westen waren seine Werke in der Nachkriegszeit eher selten zu sehen. 1958 wurden einige seiner Bilder auf der Biennale in Venedig gezeigt. Größere Einzelausstellungen seiner Werke lehnte der Künstler ab. Eine erste Einzelausstellung fand deshalb erst posthum 1977 im Nationalmuseum in Warschau statt. Eine weitere folgte 1999 im Nationalmuseum Posen und in der Warschauer Nationalen Kunstgalerie Zachęta.
Von Andreas Eichmüller, wissenschaftlicher Mitarbeiter des NS-Dokumentationszentrums München
Quellen
(1) https://culture.pl/en/artist/stefan-artur-nacht-samborski; 20.8.2020.
(2) Zitiert nach Maria Zientara: Artur Nacht-Samborski, in: Dies.: Holocaust Survivors. Jonasz Stern, Erna Rosenstein, Artur Nacht-Samborski, (Exhibition Catalogue Historical Museum of the City of Krakow, Oskar Schindler‘s Enamel Factory, 8 November 2012 – 7 April 2013), Krakow 2012, p. 94-118, 101 [Übersetzung durch den Autor].