
#TakeOver: Das Spiel mit der Angst
Sebastian Jungs Zeichnungen von Demonstrationen im Kontext der Erinnerungsarbeit des NS-Dokumentationszentrums München
In einem Hauptseminar der Ludwig-Maximilians-Universität München haben Master- und Bachelor-Studierende des Bereichs Kunstgeschichte den Entstehungsprozess der Wechselausstellung „Tell me about yesterday tomorrow“ intensiv begleitet. Sie setzten sich mit ausgewählten Kunstwerken auseinander, waren bei der Eröffnung am 27. November 2019 Ansprechpartner*innen für die Besucher*innen und haben mit einzelnen Künstler*innen Interviews geführt. Daraus sind nun Beiträge für den Blog zur Ausstellung entstanden.
Sebastian Jung hat die titelgebenden „besorgten Bürger“ bei Demonstrationen in Chemnitz beobachtet und dokumentiert. Nun werden sie im vierten Stock des NS-Dokumentationszentrums in München präsentiert. Eingerahmt in weißen Passepartouts und fein säuberlich aufgereiht blicken sie mich zornig an.
Sie fügen sich in ihre neue Umgebung ein. Die Dauerausstellung des Dokumentationszentrums beginnt hier, im obersten Stockwerk. Sie startet mit dem Ende des Ersten Weltkriegs und dem Ausbruch der Novemberrevolution im Jahr 1918. In Wandtexten und Schautafeln wird versucht, die Entstehungs- und Aufstiegsphase der NSDAP nachzuvollziehen. Bei genauerer Betrachtung drängt sich mir eine unausweichliche Parallele zur aktuellen gesellschaftlichen und politischen Situation in Deutschland auf. Momentan befindet sich die AfD, eine nationalistische Partei, mit 91 Sitzen im Bundestag, bei den Landtagswahlen in Sachsen 2019 erhält sie 27,55% der Stimmen, und in Chemnitz marschieren Neonazis fahnenschwingend durch die Straßen. Kann sich Geschichte wiederholen?
Sebastian Jung hält das Geschehen fest. In flüchtigen, dokumentarischen Zeichnungen konzentriert er sich auf Auffälliges und bringt es schnell zu Papier. In seiner Werkreihe Besorgte Bürger die 2018 in Chemnitz entstand, ist vor allem eines zu sehen: Emotionen. Tief gezogene Augenbrauen, Zornesfalten und offene Münder dominieren den Gesamteindruck. Es sind extreme Gefühle, Hass, Wut und Zorn – aber auch Angst. Angst, wovor? Vor dem, was politisch konstruiert und strategisch vermittelt wird. AfD-Politiker Björn Höcke sagt in einem seiner Wahlwerbespots für die Thüringer Landtagswahlen 2019 er sei „besorgt”. Der Ausdruck „in Sorge” fällt ganze sechs Mal in dem 1:35 Minuten langen Video. Das Spiel mit der Angst ist kein Neues, auch das zeigt uns die Erinnerungsarbeit des NS-Dokumentationszentrums.

Es ist genau diese emotionale Mobilisierung der Massen, die Jung mit seinen Dokumentationen auf eine künstlerische Art und Weise untersucht. Im Gegensatz zur Dauerausstellung handelt es sich dabei um einen subjektiven Blick auf das Geschehene und doch befindet sich genau in diesen reduzierten Zeichnungen eine Wahrheit. Eingebettet in die Dauerausstellung wirkt Jungs Arbeit wie eine Warnung.
Von Julia Anna Wittmann, Studierende der Kunstgeschichte an der Ludwig-Maximilians-Universität München
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#TakeOver: Das Spiel mit der Angst
Sebastian Jungs Zeichnungen von Demonstrationen im Kontext der Erinnerungsarbeit des NS-Dokumentationszentrums München
In einem Hauptseminar der Ludwig-Maximilians-Universität München haben Master- und Bachelor-Studierende des Bereichs Kunstgeschichte den Entstehungsprozess der Wechselausstellung „Tell me about yesterday tomorrow“ intensiv begleitet. Sie setzten sich mit ausgewählten Kunstwerken auseinander, waren bei der Eröffnung am 27. November 2019 Ansprechpartner*innen für die Besucher*innen und haben mit einzelnen Künstler*innen Interviews geführt. Daraus sind nun Beiträge für den Blog zur Ausstellung entstanden.
Sebastian Jung hat die titelgebenden „besorgten Bürger“ bei Demonstrationen in Chemnitz beobachtet und dokumentiert. Nun werden sie im vierten Stock des NS-Dokumentationszentrums in München präsentiert. Eingerahmt in weißen Passepartouts und fein säuberlich aufgereiht blicken sie mich zornig an.
Sie fügen sich in ihre neue Umgebung ein. Die Dauerausstellung des Dokumentationszentrums beginnt hier, im obersten Stockwerk. Sie startet mit dem Ende des Ersten Weltkriegs und dem Ausbruch der Novemberrevolution im Jahr 1918. In Wandtexten und Schautafeln wird versucht, die Entstehungs- und Aufstiegsphase der NSDAP nachzuvollziehen. Bei genauerer Betrachtung drängt sich mir eine unausweichliche Parallele zur aktuellen gesellschaftlichen und politischen Situation in Deutschland auf. Momentan befindet sich die AfD, eine nationalistische Partei, mit 91 Sitzen im Bundestag, bei den Landtagswahlen in Sachsen 2019 erhält sie 27,55% der Stimmen, und in Chemnitz marschieren Neonazis fahnenschwingend durch die Straßen. Kann sich Geschichte wiederholen?
Sebastian Jung hält das Geschehen fest. In flüchtigen, dokumentarischen Zeichnungen konzentriert er sich auf Auffälliges und bringt es schnell zu Papier. In seiner Werkreihe Besorgte Bürger die 2018 in Chemnitz entstand, ist vor allem eines zu sehen: Emotionen. Tief gezogene Augenbrauen, Zornesfalten und offene Münder dominieren den Gesamteindruck. Es sind extreme Gefühle, Hass, Wut und Zorn – aber auch Angst. Angst, wovor? Vor dem, was politisch konstruiert und strategisch vermittelt wird. AfD-Politiker Björn Höcke sagt in einem seiner Wahlwerbespots für die Thüringer Landtagswahlen 2019 er sei „besorgt”. Der Ausdruck „in Sorge” fällt ganze sechs Mal in dem 1:35 Minuten langen Video. Das Spiel mit der Angst ist kein Neues, auch das zeigt uns die Erinnerungsarbeit des NS-Dokumentationszentrums.

Es ist genau diese emotionale Mobilisierung der Massen, die Jung mit seinen Dokumentationen auf eine künstlerische Art und Weise untersucht. Im Gegensatz zur Dauerausstellung handelt es sich dabei um einen subjektiven Blick auf das Geschehene und doch befindet sich genau in diesen reduzierten Zeichnungen eine Wahrheit. Eingebettet in die Dauerausstellung wirkt Jungs Arbeit wie eine Warnung.
Von Julia Anna Wittmann, Studierende der Kunstgeschichte an der Ludwig-Maximilians-Universität München