
#TakeOver: „Das hat mich nicht mehr losgelassen.“
Ein Gespräch mit Paula Markert über ihre Arbeit zum NSU-Prozess
In einem Hauptseminar der Ludwig-Maximilians-Universität München haben Master- und Bachelor-Studierende des Bereichs Kunstgeschichte den Entstehungsprozess der Wechselausstellung „Tell me about yesterday tomorrow“ intensiv begleitet. Sie setzten sich mit ausgewählten Kunstwerken auseinander, waren bei der Eröffnung am 27. November 2019 Ansprechpartner*innen für die Besucher*innen und haben mit einzelnen Künstler*innen Interviews geführt. Daraus sind nun Beiträge für den Blog zur Ausstellung entstanden.
Das Interview mit Paula Markert findet an einem Mittwochmittag per Telefon statt. Wir hatten uns aus zeitlichen und logistischen Gründen dazu entschieden, denn während der Eröffnung wäre sicherlich keine Gelegenheit für ein anderthalbstündiges Künstler*innengespräch gewesen. Wir tauschen uns über den Eröffnungsabend von Tell me about yesterday tomorrow aus.
Welche Wirkung haben die künstlerischen Interventionen auf die Besucher*innen und wie siehst du dein Werk im Bezug zur Dauerausstellung?
„Das Konzept des NS-Dokumentationszentrums ist auf jeden Fall total aufgegangen. Ich finde insgesamt, dass die Ergänzung der Dauerausstellung durch die Kunst als Zusatzkommentar sehr gut funktioniert. Erstmal hatte ich ein bisschen Bedenken wegen der Farbe des Ausstellungsdisplays, denn das kräftige Blau gibt viel vor. Aber die temporäre Intervention hebt sich nun optisch gut ab und übernimmt so eine Art Kommentarfunktion für die Dauerausstellung. Durch den blauen Faden kann man sich besser zwischen Text, Film oder Bild der Dauerausstellung und den künstlerischen Kommentaren zurechtfinden. Bei meiner Arbeit funktioniert das Blau auch ästhetisch sehr gut. Einige haben gemutmaßt, dass es das Bundestagsblau ist, aber das halte ich aber für eine Spekulation. Blau weckt bei meiner Arbeit Assoziationen an Behördenmöbelfarbe, deswegen passt es ganz gut.“
Das ausgestellte Projekt Eine Reise durch Deutschland. Die Mordserie des NSU, 2014-2017 kombiniert Inkjet Prints, Wallpaper und Textelemente auf Vinyl. Die Bilder dokumentieren nicht den Gerichtsprozess an sich oder Staatliche Organe wie das Bundesamt für Verfassungsschutz in Köln, sondern auch das Umfeld der Täter und Opfer. Was hat den Anstoß gegeben, dich mit diesem Thema zu beschäftigen?
„Am Anfang der künstlerischen Beschäftigung mit einem Thema steht, zumindest für mich, dass mich etwas nicht mehr loslässt und ich für mich Fragen klarer formulieren möchte. Durch die Recherche zu einem Projekt versuche ich dann, Antworten auf meine dringenden Fragen zu finden. Ende 2011 wurde nach dem Tod von Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos die rechtsextreme Terrorgruppe NSU enttarnt. Das hat mich absolut erschüttert, was da ans Tageslicht kam. In kleinen Schritten, über mehrere Monate verteilt, wurde deutlich, wie weit auch staatliche Behörden in den Fall in irgendeiner Form verstrickt waren, wie nah der Verfassungsschutz an den Dreien dran gewesen sein muss, wie groß das Netzwerk des Trios war. Die Tragweite hat sich ja immer mehr entblättert, genauso war es auch mit der Verarbeitung in meinem Bewusstsein. Anfang 2013 bin ich noch tiefer in das Thema eingestiegen. Als der Prozess beginnen sollte, waren meine drängenden Fragen: Was ist das für ein Land, in dem ein rechtes Terrornetzwerk über Jahre hinweg aus dem Untergrund heraus rassistische Mord verüben konnte? In welcher Form können das Verstricken des Staates und das Versagen von Behörden in einem Gerichtsprozess überhaupt aufgearbeitet werden?“
Also hat dich die Frage beschäftigt, welche Strukturen im Staat Faktoren waren, die diese Taten des NSU und ihr Wirken im Untergrund jahrelang begünstigt haben?
„Ja. Die behördlichen Ermittlungen liefen jahrelang in die falsche Richtung, es wurde statt im Bereich Rechter Terror im Umfeld der Opfer ermittelt, sicher spielte hier struktureller Rassismus auch in den Behörden eine Rolle. Das hat klar gemacht, dass folglich ein gesellschaftliches strukturelles Problem dahinter sein muss. Da ich ein Teil dieser Gesellschaft bin, hat mich das dann auch persönlich nicht mehr losgelassen. Ich habe sehr viel recherchiert und gelesen, aber das hat nicht gereicht, um diesem Gefühl der Ohnmacht gerecht zu werden. Diese Erkenntnis, dass auf so vielen Ebenen – sei es bewusst oder unbewusst – Fehler passiert sind und dass so viele Fehlerquellen vorhanden sind, sodass es unübersichtlich wird, hat mir Angst gemacht. Ich meine, das sehen wir jetzt, Jahre später! Es ist 2020 und erst heute erkennt beispielsweise der deutsche Innenminister an, „dass vom Rechtsextremismus die größte Bedrohung in unserem Land ausgeht", dass rechte Strukturen in den Behörden vorhanden sind, auf die eingegangen werden muss. Dass so viel passieren musste, bis in den Köpfen angekommen ist, dass das kein Einzelfallproblem ist, dieses Gefühl hat den Grundstein für die Arbeit gelegt, die auch im NS-Dokumentationszentrum ausgestellt ist.“
Das Thema ist sehr vielschichtig und komplex. Du hast dich jahrelang damit auseinandergesetzt und sogar ein Fotobuch heraus gebracht, was doch auch ein hohes Maß an Information voraussetzt. Wie genau bist du bei der Recherche vorgegangen?
„Ich bin dann durch Deutschland gefahren und wollte mir Orte ansehen, an denen die Täter gelebt haben, wo sie aufgewachsen sind. Ich habe das Bundesamt für Verfassungsschutz in Köln besucht, die Orte, an denen der Gerichtsprozess stattgefunden hat, aber auch einige der Tatorte, um ein Gefühl zu bekommen für das Netzwerk, denn es hat deutschlandweit funktioniert. Diese Reisen durch Deutschland waren mir sehr wichtig, um das Land, aus dem ich komme, genauer anzusehen. Wie sieht so ein Land aus, in dem der Holocaust möglich war und in dem jetzt Jahrzehnte später klar wird, dass Strukturen existieren, die so eine unfassbare Mordserie wie die der Terrorgruppe NSU begünstigen? Ich wollte dieses Land auch noch einmal selber anders betrachten.“
Das Bedürfnis, die Strukturen und Ursachen verstehen zu wollen, waren Auslöser für Paula Markerts fotografischer Analyse der Verbrechen des NSU. Durch das Zusammenspiel von Bild- und Textelementen entsteht ein mehrdimensionaler Zugang, der den/die Betrachter*in durch den komplexen Sachverhalt führt. Das Nebeneinander von scheinbar banalen Orten, Zeitzeugnissen und Berichterstattung wirft schließlich auch Fragen auf: Was sind meine Einschätzungen zu den Vorgängen, was hat das Thema mit mir zu tun?
Von Isabel Sophie Oberländer, Studierende der Kunstgeschichte an der Ludwig-Maximilians-Universität München
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#TakeOver: „Das hat mich nicht mehr losgelassen.“
Ein Gespräch mit Paula Markert über ihre Arbeit zum NSU-Prozess
In einem Hauptseminar der Ludwig-Maximilians-Universität München haben Master- und Bachelor-Studierende des Bereichs Kunstgeschichte den Entstehungsprozess der Wechselausstellung „Tell me about yesterday tomorrow“ intensiv begleitet. Sie setzten sich mit ausgewählten Kunstwerken auseinander, waren bei der Eröffnung am 27. November 2019 Ansprechpartner*innen für die Besucher*innen und haben mit einzelnen Künstler*innen Interviews geführt. Daraus sind nun Beiträge für den Blog zur Ausstellung entstanden.
Das Interview mit Paula Markert findet an einem Mittwochmittag per Telefon statt. Wir hatten uns aus zeitlichen und logistischen Gründen dazu entschieden, denn während der Eröffnung wäre sicherlich keine Gelegenheit für ein anderthalbstündiges Künstler*innengespräch gewesen. Wir tauschen uns über den Eröffnungsabend von Tell me about yesterday tomorrow aus.
Welche Wirkung haben die künstlerischen Interventionen auf die Besucher*innen und wie siehst du dein Werk im Bezug zur Dauerausstellung?
„Das Konzept des NS-Dokumentationszentrums ist auf jeden Fall total aufgegangen. Ich finde insgesamt, dass die Ergänzung der Dauerausstellung durch die Kunst als Zusatzkommentar sehr gut funktioniert. Erstmal hatte ich ein bisschen Bedenken wegen der Farbe des Ausstellungsdisplays, denn das kräftige Blau gibt viel vor. Aber die temporäre Intervention hebt sich nun optisch gut ab und übernimmt so eine Art Kommentarfunktion für die Dauerausstellung. Durch den blauen Faden kann man sich besser zwischen Text, Film oder Bild der Dauerausstellung und den künstlerischen Kommentaren zurechtfinden. Bei meiner Arbeit funktioniert das Blau auch ästhetisch sehr gut. Einige haben gemutmaßt, dass es das Bundestagsblau ist, aber das halte ich aber für eine Spekulation. Blau weckt bei meiner Arbeit Assoziationen an Behördenmöbelfarbe, deswegen passt es ganz gut.“
Das ausgestellte Projekt Eine Reise durch Deutschland. Die Mordserie des NSU, 2014-2017 kombiniert Inkjet Prints, Wallpaper und Textelemente auf Vinyl. Die Bilder dokumentieren nicht den Gerichtsprozess an sich oder Staatliche Organe wie das Bundesamt für Verfassungsschutz in Köln, sondern auch das Umfeld der Täter und Opfer. Was hat den Anstoß gegeben, dich mit diesem Thema zu beschäftigen?
„Am Anfang der künstlerischen Beschäftigung mit einem Thema steht, zumindest für mich, dass mich etwas nicht mehr loslässt und ich für mich Fragen klarer formulieren möchte. Durch die Recherche zu einem Projekt versuche ich dann, Antworten auf meine dringenden Fragen zu finden. Ende 2011 wurde nach dem Tod von Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos die rechtsextreme Terrorgruppe NSU enttarnt. Das hat mich absolut erschüttert, was da ans Tageslicht kam. In kleinen Schritten, über mehrere Monate verteilt, wurde deutlich, wie weit auch staatliche Behörden in den Fall in irgendeiner Form verstrickt waren, wie nah der Verfassungsschutz an den Dreien dran gewesen sein muss, wie groß das Netzwerk des Trios war. Die Tragweite hat sich ja immer mehr entblättert, genauso war es auch mit der Verarbeitung in meinem Bewusstsein. Anfang 2013 bin ich noch tiefer in das Thema eingestiegen. Als der Prozess beginnen sollte, waren meine drängenden Fragen: Was ist das für ein Land, in dem ein rechtes Terrornetzwerk über Jahre hinweg aus dem Untergrund heraus rassistische Mord verüben konnte? In welcher Form können das Verstricken des Staates und das Versagen von Behörden in einem Gerichtsprozess überhaupt aufgearbeitet werden?“
Also hat dich die Frage beschäftigt, welche Strukturen im Staat Faktoren waren, die diese Taten des NSU und ihr Wirken im Untergrund jahrelang begünstigt haben?
„Ja. Die behördlichen Ermittlungen liefen jahrelang in die falsche Richtung, es wurde statt im Bereich Rechter Terror im Umfeld der Opfer ermittelt, sicher spielte hier struktureller Rassismus auch in den Behörden eine Rolle. Das hat klar gemacht, dass folglich ein gesellschaftliches strukturelles Problem dahinter sein muss. Da ich ein Teil dieser Gesellschaft bin, hat mich das dann auch persönlich nicht mehr losgelassen. Ich habe sehr viel recherchiert und gelesen, aber das hat nicht gereicht, um diesem Gefühl der Ohnmacht gerecht zu werden. Diese Erkenntnis, dass auf so vielen Ebenen – sei es bewusst oder unbewusst – Fehler passiert sind und dass so viele Fehlerquellen vorhanden sind, sodass es unübersichtlich wird, hat mir Angst gemacht. Ich meine, das sehen wir jetzt, Jahre später! Es ist 2020 und erst heute erkennt beispielsweise der deutsche Innenminister an, „dass vom Rechtsextremismus die größte Bedrohung in unserem Land ausgeht", dass rechte Strukturen in den Behörden vorhanden sind, auf die eingegangen werden muss. Dass so viel passieren musste, bis in den Köpfen angekommen ist, dass das kein Einzelfallproblem ist, dieses Gefühl hat den Grundstein für die Arbeit gelegt, die auch im NS-Dokumentationszentrum ausgestellt ist.“
Das Thema ist sehr vielschichtig und komplex. Du hast dich jahrelang damit auseinandergesetzt und sogar ein Fotobuch heraus gebracht, was doch auch ein hohes Maß an Information voraussetzt. Wie genau bist du bei der Recherche vorgegangen?
„Ich bin dann durch Deutschland gefahren und wollte mir Orte ansehen, an denen die Täter gelebt haben, wo sie aufgewachsen sind. Ich habe das Bundesamt für Verfassungsschutz in Köln besucht, die Orte, an denen der Gerichtsprozess stattgefunden hat, aber auch einige der Tatorte, um ein Gefühl zu bekommen für das Netzwerk, denn es hat deutschlandweit funktioniert. Diese Reisen durch Deutschland waren mir sehr wichtig, um das Land, aus dem ich komme, genauer anzusehen. Wie sieht so ein Land aus, in dem der Holocaust möglich war und in dem jetzt Jahrzehnte später klar wird, dass Strukturen existieren, die so eine unfassbare Mordserie wie die der Terrorgruppe NSU begünstigen? Ich wollte dieses Land auch noch einmal selber anders betrachten.“
Das Bedürfnis, die Strukturen und Ursachen verstehen zu wollen, waren Auslöser für Paula Markerts fotografischer Analyse der Verbrechen des NSU. Durch das Zusammenspiel von Bild- und Textelementen entsteht ein mehrdimensionaler Zugang, der den/die Betrachter*in durch den komplexen Sachverhalt führt. Das Nebeneinander von scheinbar banalen Orten, Zeitzeugnissen und Berichterstattung wirft schließlich auch Fragen auf: Was sind meine Einschätzungen zu den Vorgängen, was hat das Thema mit mir zu tun?
Von Isabel Sophie Oberländer, Studierende der Kunstgeschichte an der Ludwig-Maximilians-Universität München