
Auf dem Ettersberg bei Weimar
Die KZ-Gedenkstätte Buchenwald und Sebastian Jungs künstlerischer Umgang mit dem historischen Ort
Millionen Menschen wurden in den nationalsozialistischen Konzentrations- und Vernichtungslagern inhaftiert, misshandelt, gefoltert und ermordet. Wie ging man mit den baulichen Relikten dieser Lager nach Kriegsende 1945 um, was ist heute noch von ihnen übrig, wie werden sie für die heutige Erinnerungsarbeit an den Nationalsozialismus und seine Opfer genutzt? Und wie wirken sie auf die heutigen Besucher*innen von KZ-Gedenkstätten?
Das sind Fragen, die den Künstler Sebastian Jung beschäftigen und mit denen er sich unter anderem in einer Serie von Zeichnungen zur KZ-Gedenkstätte Buchenwald auseinandersetzt. Dieser Artikel stellt den Ort, an dem sich eines der größten nationalsozialistischen Konzentrationslager befand, vor und geht dabei insbesondere auf seine Nachgeschichte als Gedenkstätte ein.

1937 ließ die SS („Schutzstaffel“ der NSDAP) auf dem Ettersberg bei Weimar ein Konzentrationslager errichten. Nach Dachau und Sachsenhausen bei Berlin entstand hier das dritte große Haftlager im Deutschen Reich: für Personen, die aufgrund ihrer politischen oder religiösen Überzeugungen, der NS-Rassenideologie oder deshalb ausgegrenzt und verfolgt wurden, weil sie nicht der damaligen Vorstellung der „sittlichen“ oder gesellschaftlichen „Norm“ entsprachen. Der Lagerkomplex unterteilte sich in verschiedene Bereiche. Im eigentlichen Haftlager, das ca. 40 Hektar umfasste und von Stacheldraht und einem Elektrozaun umschlossen wurde, waren in rund 50 Baracken die Häftlinge untergebracht. Daneben befand sich der SS-Bereich mit der Lagerkommandantur, Kasernen, Garagen und einem Übungsgelände. Angegliedert war außerdem ein Produktionsbereich, in dem die Häftlinge Zwangsarbeit leisten mussten, bestehend aus einem Steinbruch, einem Betrieb der SS-eigenen Deutschen Ausrüstungswerke und ab 1942/43 zusätzlich einer Waffenfabrik der Gustloff-Werke.

Zu Kriegsende standen auf dem nunmehr 190 Hektar großen Gelände des Stammlagers weit über 100 Gebäude. Mit seinen 139 Außenlagern war Buchenwald einer der größten KZ-Lagerkomplexe im Deutschen Reich. Die SS inhaftierte dort zwischen 1937 und 1945 insgesamt fast 280.000 Menschen. Über 56.000 davon wurden ermordet oder starben aufgrund von Misshandlungen, medizinischen Experimenten oder körperlicher Entkräftung. Am 11. April 1945 befreiten US-Truppen das Lager. Dort hatte kurz zuvor nach der Flucht der meisten SS-Wachen bereits eine schon länger bestehende geheime Widerstandsorganisation vor allem kommunistischer Häftlinge die Verwaltung übernommen.
Entsprechend der Aufteilung der Besatzungszonen wurde das Lager dann Ende Juli 1945 an das sowjetische Militär übergeben. Die Sowjets nutzten das Gelände umgehend als sogenanntes Speziallager für ehemalige Nationalsozialisten und tatsächliche oder vermeintliche Gegner ihrer Besatzungspolitik. Bis zur Auflösung im Februar 1950 waren dort fast 30.000 Personen inhaftiert. Mehr als 7000 davon starben vor allem aufgrund der katastrophalen Lebensbedingen im Lager.

Nachdem das eigentliche Lager nicht zugänglich war, konzentrierte sich das Gedenken zunächst auf die Häftlingsgräber am Südhang des Ettersberges. Dort wurde 1947 eine erste Gedenkfeier abgehalten und im September 1949 offiziell eine Gedenkstätte Ehrenhain errichtet.
Nach der Auflösung des Speziallagers und der Übergabe des Geländes an die DDR-Behörden im nunmehr geteilten Deutschland ordnete die SED-Parteiführung den Abriss der meisten Gebäude des Lagers und des SS-Bereichs an. Dabei wurden auch sämtliche Häftlingsbaracken abgetragen, nur an einigen Stellen blieb wenigstens ihr Standort in Form aufgeschütteter Bruchsteinfelder sichtbar, während Informationstafeln das ehemalige Lagergelände kennzeichneten. Nach dem Willen der Staatsführung sollte dort aber nicht an das Leiden der Opfer erinnert werden, sondern an dessen Überwindung im heroischen und letztlich erfolgreichen kommunistischen Widerstandskampf, der zum Sieg des Sozialismus und zur Gründung der DDR geführt hatte – so die staatlich verordnete Geschichtsdeutung. Dieser „antifaschistische“ Gründungsmythos stand dann auch im Zentrum einer ersten, 1954 eröffneten Ausstellung zur Geschichte des KZ in der ehemaligen „Häftlingskantine“. Er bestimmte die Errichtung eines Gedenkorts für den im Lager ermordeten KPD-Führer Ernst Thälmann im ehemaligen Krematorium und vor allem den Bau eines monumentalen, weithin sichtbaren Mahnmals eineinhalb Kilometer vom eigentlichen Lager entfernt am Hang des Ettersbergs. Drei dort befindliche Massengräber wurden neu gestaltet und, verbunden durch eine Straße der Nationen, Teil des Mahnmals. Als Nationale Mahn- und Gedenkstätte Buchenwald wurde es im September 1958 eingeweiht und nachfolgend zum zentralen Erinnerungsort des kommunistischen Widerstands gegen den Nationalsozialismus sowie zur damals größten KZ-Gedenkstätte Deutschlands ausgebaut. Neben Archiv und Bibliothek erhielt diese 1964 eine zweite, größere Dauerausstellung, die sich im ehemaligen „Effektenbau“ hauptsächlich der Lagergeschichte widmete. Doch auch diese Ausstellung hielt an der dem staatlichen Legitimationsbedürfnis geschuldeten Überbetonung des kommunistischen Widerstands fest.

In der Bundesrepublik, wo der Umgang mit der NS-Vergangenheit sich im Laufe der Jahre sehr viel stärker wandelte als in der DDR, wurde die erste KZ-Gedenkstätte mit dokumentarischer Ausstellung erst im Jahr 1965 in Dachau errichtet. Im Westen behinderte vor allem der sehr weit verbreitete Wunsch, den Mantel des Schweigens über die Verbrechen der NS-Zeit zu breiten, die Erinnerung. Auch in Dachau waren alle Häftlingsbaracken inzwischen abgetragen worden und nur noch wenige Originalbauten erhalten geblieben. Man behalf sich mit dem Nachbau zweier Baracken.
In Buchenwald erfolgte nach dem Ende der DDR und der Wiedervereinigung Anfang der 1990er-Jahre eine umfassende Neukonzeption der Gedenkstätte. Die 1995 nach heftigen geschichts- und erinnerungspolitischen Auseinandersetzungen eröffnete neue Dauerausstellung präsentierte nun die Lagergeschichte in detaillierter Form auf Basis des aktuellen historischen Wissens. Insbesondere trug sie nun erstmals allen im Lager inhaftierten Opfergruppen Rechnung. Neben der Darstellung der Rolle der kommunistischen Häftlinge im Lager war insbesondere die Einbeziehung des ehemaligen sowjetischen Speziallagers in das Gedenken umstritten. An dieses erinnert seit 1997 eine eigene Ausstellung. Schon ein Jahr zuvor war in einem Bau der ehemaligen SS-Kaserne, der zu DDR-Zeiten als Verwaltung gedient hatte, eine Jugendbegegnungsstätte eingerichtet worden. Die meisten noch vorhandenen Originalgebäude wurden restauriert und 1994 die ehemalige Baracke des Häftlingskrankenbaus wieder aufgestellt. Sie hatte – zu Beginn der 1950er-Jahre ab- und in einer thüringischen Kleinstadt wieder aufgebaut – die Zeitläufte überstanden. Einer inzwischen von nahezu allen bundesdeutschen Gedenkstätten akzeptierten Linie folgend wurden jedoch ansonsten keine Rekonstruktionen vorgenommen, um den Charakter der baulichen Überreste als authentische Zeugnisse nicht in Frage zu stellen.
Wie in vielen anderen KZ-Gedenkstätten auch sind deshalb heute in Buchenwald nur noch wenige der ehemals dort vorhandenen Gebäude zu sehen: am augenfälligsten sicher das mehrstöckige Torgebäude, das auch auf einigen der Zeichnungen Sebastian Jungs abgebildet ist. Nicht zuletzt möchte Jung aber mit seinen Zeichnungen auf die Unmöglichkeit des Zeigens der abgerissenen Häftlingsbaracken hinweisen.

In den Gedenkstätten wird immer wieder diskutiert, wie man den häufigen Klagen von Besucher*innen am Besten begegnen solle: sie könnten sich wegen des Fehlens von baulichen Relikten gar keine richtige Vorstellung von einem Lager machen. In der Vergangenheit behalf man sich etwa mit Lageplänen oder maßstabsgetreuen Modellen. Aktuell wird intensiv über den Einsatz von augmented reality nachgedacht.
Von Andreas Eichmüller, wissenschaftlicher Mitarbeiter des NS-Dokumentationszentrums München
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Auf dem Ettersberg bei Weimar
Die KZ-Gedenkstätte Buchenwald und Sebastian Jungs künstlerischer Umgang mit dem historischen Ort
Millionen Menschen wurden in den nationalsozialistischen Konzentrations- und Vernichtungslagern inhaftiert, misshandelt, gefoltert und ermordet. Wie ging man mit den baulichen Relikten dieser Lager nach Kriegsende 1945 um, was ist heute noch von ihnen übrig, wie werden sie für die heutige Erinnerungsarbeit an den Nationalsozialismus und seine Opfer genutzt? Und wie wirken sie auf die heutigen Besucher*innen von KZ-Gedenkstätten?
Das sind Fragen, die den Künstler Sebastian Jung beschäftigen und mit denen er sich unter anderem in einer Serie von Zeichnungen zur KZ-Gedenkstätte Buchenwald auseinandersetzt. Dieser Artikel stellt den Ort, an dem sich eines der größten nationalsozialistischen Konzentrationslager befand, vor und geht dabei insbesondere auf seine Nachgeschichte als Gedenkstätte ein.

1937 ließ die SS („Schutzstaffel“ der NSDAP) auf dem Ettersberg bei Weimar ein Konzentrationslager errichten. Nach Dachau und Sachsenhausen bei Berlin entstand hier das dritte große Haftlager im Deutschen Reich: für Personen, die aufgrund ihrer politischen oder religiösen Überzeugungen, der NS-Rassenideologie oder deshalb ausgegrenzt und verfolgt wurden, weil sie nicht der damaligen Vorstellung der „sittlichen“ oder gesellschaftlichen „Norm“ entsprachen. Der Lagerkomplex unterteilte sich in verschiedene Bereiche. Im eigentlichen Haftlager, das ca. 40 Hektar umfasste und von Stacheldraht und einem Elektrozaun umschlossen wurde, waren in rund 50 Baracken die Häftlinge untergebracht. Daneben befand sich der SS-Bereich mit der Lagerkommandantur, Kasernen, Garagen und einem Übungsgelände. Angegliedert war außerdem ein Produktionsbereich, in dem die Häftlinge Zwangsarbeit leisten mussten, bestehend aus einem Steinbruch, einem Betrieb der SS-eigenen Deutschen Ausrüstungswerke und ab 1942/43 zusätzlich einer Waffenfabrik der Gustloff-Werke.

Zu Kriegsende standen auf dem nunmehr 190 Hektar großen Gelände des Stammlagers weit über 100 Gebäude. Mit seinen 139 Außenlagern war Buchenwald einer der größten KZ-Lagerkomplexe im Deutschen Reich. Die SS inhaftierte dort zwischen 1937 und 1945 insgesamt fast 280.000 Menschen. Über 56.000 davon wurden ermordet oder starben aufgrund von Misshandlungen, medizinischen Experimenten oder körperlicher Entkräftung. Am 11. April 1945 befreiten US-Truppen das Lager. Dort hatte kurz zuvor nach der Flucht der meisten SS-Wachen bereits eine schon länger bestehende geheime Widerstandsorganisation vor allem kommunistischer Häftlinge die Verwaltung übernommen.
Entsprechend der Aufteilung der Besatzungszonen wurde das Lager dann Ende Juli 1945 an das sowjetische Militär übergeben. Die Sowjets nutzten das Gelände umgehend als sogenanntes Speziallager für ehemalige Nationalsozialisten und tatsächliche oder vermeintliche Gegner ihrer Besatzungspolitik. Bis zur Auflösung im Februar 1950 waren dort fast 30.000 Personen inhaftiert. Mehr als 7000 davon starben vor allem aufgrund der katastrophalen Lebensbedingen im Lager.

Nachdem das eigentliche Lager nicht zugänglich war, konzentrierte sich das Gedenken zunächst auf die Häftlingsgräber am Südhang des Ettersberges. Dort wurde 1947 eine erste Gedenkfeier abgehalten und im September 1949 offiziell eine Gedenkstätte Ehrenhain errichtet.
Nach der Auflösung des Speziallagers und der Übergabe des Geländes an die DDR-Behörden im nunmehr geteilten Deutschland ordnete die SED-Parteiführung den Abriss der meisten Gebäude des Lagers und des SS-Bereichs an. Dabei wurden auch sämtliche Häftlingsbaracken abgetragen, nur an einigen Stellen blieb wenigstens ihr Standort in Form aufgeschütteter Bruchsteinfelder sichtbar, während Informationstafeln das ehemalige Lagergelände kennzeichneten. Nach dem Willen der Staatsführung sollte dort aber nicht an das Leiden der Opfer erinnert werden, sondern an dessen Überwindung im heroischen und letztlich erfolgreichen kommunistischen Widerstandskampf, der zum Sieg des Sozialismus und zur Gründung der DDR geführt hatte – so die staatlich verordnete Geschichtsdeutung. Dieser „antifaschistische“ Gründungsmythos stand dann auch im Zentrum einer ersten, 1954 eröffneten Ausstellung zur Geschichte des KZ in der ehemaligen „Häftlingskantine“. Er bestimmte die Errichtung eines Gedenkorts für den im Lager ermordeten KPD-Führer Ernst Thälmann im ehemaligen Krematorium und vor allem den Bau eines monumentalen, weithin sichtbaren Mahnmals eineinhalb Kilometer vom eigentlichen Lager entfernt am Hang des Ettersbergs. Drei dort befindliche Massengräber wurden neu gestaltet und, verbunden durch eine Straße der Nationen, Teil des Mahnmals. Als Nationale Mahn- und Gedenkstätte Buchenwald wurde es im September 1958 eingeweiht und nachfolgend zum zentralen Erinnerungsort des kommunistischen Widerstands gegen den Nationalsozialismus sowie zur damals größten KZ-Gedenkstätte Deutschlands ausgebaut. Neben Archiv und Bibliothek erhielt diese 1964 eine zweite, größere Dauerausstellung, die sich im ehemaligen „Effektenbau“ hauptsächlich der Lagergeschichte widmete. Doch auch diese Ausstellung hielt an der dem staatlichen Legitimationsbedürfnis geschuldeten Überbetonung des kommunistischen Widerstands fest.

In der Bundesrepublik, wo der Umgang mit der NS-Vergangenheit sich im Laufe der Jahre sehr viel stärker wandelte als in der DDR, wurde die erste KZ-Gedenkstätte mit dokumentarischer Ausstellung erst im Jahr 1965 in Dachau errichtet. Im Westen behinderte vor allem der sehr weit verbreitete Wunsch, den Mantel des Schweigens über die Verbrechen der NS-Zeit zu breiten, die Erinnerung. Auch in Dachau waren alle Häftlingsbaracken inzwischen abgetragen worden und nur noch wenige Originalbauten erhalten geblieben. Man behalf sich mit dem Nachbau zweier Baracken.
In Buchenwald erfolgte nach dem Ende der DDR und der Wiedervereinigung Anfang der 1990er-Jahre eine umfassende Neukonzeption der Gedenkstätte. Die 1995 nach heftigen geschichts- und erinnerungspolitischen Auseinandersetzungen eröffnete neue Dauerausstellung präsentierte nun die Lagergeschichte in detaillierter Form auf Basis des aktuellen historischen Wissens. Insbesondere trug sie nun erstmals allen im Lager inhaftierten Opfergruppen Rechnung. Neben der Darstellung der Rolle der kommunistischen Häftlinge im Lager war insbesondere die Einbeziehung des ehemaligen sowjetischen Speziallagers in das Gedenken umstritten. An dieses erinnert seit 1997 eine eigene Ausstellung. Schon ein Jahr zuvor war in einem Bau der ehemaligen SS-Kaserne, der zu DDR-Zeiten als Verwaltung gedient hatte, eine Jugendbegegnungsstätte eingerichtet worden. Die meisten noch vorhandenen Originalgebäude wurden restauriert und 1994 die ehemalige Baracke des Häftlingskrankenbaus wieder aufgestellt. Sie hatte – zu Beginn der 1950er-Jahre ab- und in einer thüringischen Kleinstadt wieder aufgebaut – die Zeitläufte überstanden. Einer inzwischen von nahezu allen bundesdeutschen Gedenkstätten akzeptierten Linie folgend wurden jedoch ansonsten keine Rekonstruktionen vorgenommen, um den Charakter der baulichen Überreste als authentische Zeugnisse nicht in Frage zu stellen.
Wie in vielen anderen KZ-Gedenkstätten auch sind deshalb heute in Buchenwald nur noch wenige der ehemals dort vorhandenen Gebäude zu sehen: am augenfälligsten sicher das mehrstöckige Torgebäude, das auch auf einigen der Zeichnungen Sebastian Jungs abgebildet ist. Nicht zuletzt möchte Jung aber mit seinen Zeichnungen auf die Unmöglichkeit des Zeigens der abgerissenen Häftlingsbaracken hinweisen.

In den Gedenkstätten wird immer wieder diskutiert, wie man den häufigen Klagen von Besucher*innen am Besten begegnen solle: sie könnten sich wegen des Fehlens von baulichen Relikten gar keine richtige Vorstellung von einem Lager machen. In der Vergangenheit behalf man sich etwa mit Lageplänen oder maßstabsgetreuen Modellen. Aktuell wird intensiv über den Einsatz von augmented reality nachgedacht.
Von Andreas Eichmüller, wissenschaftlicher Mitarbeiter des NS-Dokumentationszentrums München